Jenseits von Feuerland: Roman
über die Missionierung der Tehuelche. So erfuhr er, dass einer der ersten Weißen, die den Kontakt mit den Ureinwohnern Patagoniens aufgenommen hatten, ein Pastor und Sprachenforscher mit Namen Theophilus Schmid gewesen war. Im Jahr 1859 schloss dieser sich einer Tehuelche-Gruppe unter dem Kaziken Ascaik an, um eine Weile bei ihnen zu leben. Als Dank, dass sie ihm Einblick in ihre Kultur gewährten, versprach er ihnen Tabak, Zucker und Brot. Immer wieder kehrte er später zu diesem Stamm zurück, wurde von einem anderen Kaziken sogar gebeten, seine Söhne zu unterrichten, doch wenn er ihnen auch viel beibrachte – seinen protestantischen Glauben brachte er ihnen nicht näher. Jeden Morgen hielt er in seinem Zelt einen Gottesdienst ab, und die Tehuelche kamen zu ihm und sahen ihm dabei zu, aber keiner war bereit, sich taufen zu lassen. Vor allem auf ein Problem stieß Theophilus Schmid, das es später auch den Missionaren so schwermachte, ihren Glauben zu verkünden. In der Sprache der Tehuelche durften die Wörter Vater und Sohn nicht ausgesprochen werden, zu große Ehrfurcht empfinde man gegenüber den familiären Banden, und das, so erklärte Don Andrea verzweifelt, mache es unmöglich, ihnen die Dreifaltigkeit zu erklären.
Arthur hatte keine Probleme, die Wörter Vater und Sohn auszusprechen, aber was es mit der Dreifaltigkeit genau auf sich hatte, hatte er noch nie begriffen, und ob die Tehuelche daran glaubten oder nicht, war ihm auch ziemlich egal. Doch als ihn wieder einmal Emilias skeptischer Blick traf – seit wann interessierst du dich für Missionare anstatt für Frauen?, schien er zu fragen –, gab er sich äußerst gespannt, nickte mehrmals bekräftigend und hielt dem Blick funkelnd stand.
Hier ist es mit den Missionaren nun mal so viel leichter auszukommen als mit den Frauen, gab er ihr im Stillen Antwort.
Tatsächlich war er chancenlos, irgendein Herz außer dem der kleinen Aurelia zu erobern. Rita war zwar stets höflich zu ihm, und er freute sich, dass es ihr gutzugehen schien – bis auf das zeitweise Aufflackern von Melancholie hatte sie nichts mit der verzweifelten, zerstörten Frau gemein, die er zuletzt gesehen hatte –, doch Rita hatte nur Augen für Balthasar. Die wundersame Rettung vor Esteban und Jerónimo schien sie offenbar vor allem ihm zu verdanken – und Arthur musste widerstrebend eingestehen, dass sie nicht ganz unrecht hatte: Hinkendes Bein hin oder her – wenn er die Männer nicht aus Punta Arenas geholt hätte, wären sie den Angreifern hilflos ausgeliefert gewesen. Während Rita Arthur also kaum wahrnahm, hatte Ana manchmal ein sprödes Lächeln für ihn übrig, das man mit gutem Willen für ein Zeichen der Dankbarkeit halten konnte, weil er sie damals vor Estebans Messer bewahrt hatte. Ansonsten gab sie sich unnahbar und wortkarg und sprach, wenn überhaupt, nur mit diesem Tehuelche. Auch dann überanstrengte sie sich gewiss nicht am Reden. Sie fragte lediglich, ob seine Wunde noch schmerzte, und nickte zufrieden, wenn dieser die Frage hoheitsvoll verneinte.
Doch keine machte es ihm so schwer wie Emilia.
Eines Abends – sie hatten eben ihr Mahl beendet –, erhob er sich mit ihr, um ihr zu helfen, das Geschirr abzuräumen. Anstatt ihm zu danken, riss sie ihm die Teller förmlich aus der Hand und zischte ihn an: »Warum tust du das? Ich habe doch gesagt, dass ich deine Hilfe nicht brauche. Hast du womöglich wieder mal eine Wette verloren und musst zur Strafe mit mir Geschirr abwaschen?«
»Ich wette schon lange nicht mehr«, gab Arthur verärgert zurück. »Aber bezeichnend ist es doch, dass du es als Strafe ansiehst, mit mir Zeit zu verbringen.«
Sie atmete heftig ein und aus. Kurz kämpfte sie sichtlich um Beherrschung, doch dann brach es auch ihr heraus: »Gib’s doch zu, dass dir sanfte, leichtgläubige Mädchen lieber sind als die Frauen, die ihren Mann stehen.«
»Sanft und leichtgläubig oder nicht«, rief er erbost, »jede Gesellschaft ist angenehmer zu ertragen als die einer Furie.«
»Wenn du mich für eine solche hältst – warum gehst du dann nicht einfach?«
»Willst du mich loswerden? Obwohl ich dich gerettet habe?«
»Tu nicht so, als hättest du es ganz allein getan!«
»Wärst du hingegen ganz allein gewesen, wärst du vielleicht schon tot!«
Sie starrten sich mit roten Gesichtern an – und gewahrten erst jetzt, dass alle Anwesenden Zeugen dieses Streits geworden waren. Rasch senkte Emilia den Blick und eilte mit dem Vorwand,
Weitere Kostenlose Bücher