Jenseits von Feuerland: Roman
Esteban dich nennen«, sagte er schließlich leise. »Für mich bist du die schönste Frau der Welt.« Er achtete nicht darauf, wie sie seine Worte aufnahm, sondern blätterte durch seinen Skizzenblock und ließ sie alle Zeichnungen der letzten Tage sehen. Sie zeigten die Bewohner der Estancia, und vor allem sie. Mit Aurelia, mit Emilia, vor dem Webstuhl, mit den Schafen. Mal blickte sie ernsthaft konzentriert, mal unendlich traurig. Auf einem Bild lächelte sie.
Fremd und vertraut zugleich war ihr das eigene Gesicht. Und Balthasar hatte recht: Sie war tatsächlich eine wunderschöne Frau, wenn auch nur auf diesem Bild. Wahrscheinlich hatte er genauso übertrieben wie vorhin, da er Emilia und Arthur im Zorn zeichnete.
Ohne aufzublicken, begann er jetzt, auf einer leeren Seite ein Porträt von ihr zu skizzieren. Zuerst waren nur ihre Augen zu sehen, dann Nase und Mund, zuletzt ihr dunkles Haar.
»Doch«, beharrte er, als er fast fertig war. Obwohl sie ihm nicht laut widersprochen hatte, schien er ihre Gedanken gelesen zu haben. »Du bist die schönste Frau der Welt. Ein hässlicher Mann wie ich ist es nicht wert, dich so aufdringlich anzustarren, wie ich es oft tue.«
Rita spürte, wie ihr Gesicht glühend rot wurde, doch während ihr Hitze ins Gesicht stieg, hatte sie zugleich das Gefühl, ihr restlicher Körper würde erkalten. Sie wollte etwas sagen, brachte jedoch nichts hervor. Schließlich räusperte sie sich, und es tat in ihrer Kehle so weh, als würde sie eine Glasscherbe schlucken. »Ich bin nicht schön …«, presste sie hervor, »ich bin … zerstört.«
Laut fuhr der Kohlestift über das Papier, als er ihr Kleid zeichnete. Immer noch blickte er nicht hoch. »Hör auf, dich für etwas zu schämen, was nicht deine Schuld ist!«, sagte er eindringlich.
»Aber es ist meine Schuld«, brach es aus ihr hervor. »Wenn ich nicht so leichtgläubig gewesen wäre … nicht so verträumt … wenn ich nicht geglaubt hätte, dass das Leben so einfach ist wie in meinem Buch … und wenn ich mir nicht angemaßt hätte, eine Spanierin zu sein …«
»Es ist nicht deine Schuld«, wiederholte er. »Vielleicht warst du tatsächlich ein argloses, leichtgläubiges Mädchen. Aber niemand hatte das Recht, es schamlos auszunützen. Niemand durfte …«
Sie hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und als es nicht nützte, er immer noch etwas sagen wollte, legte sie ihre Finger auf seine. Nach ihrer Rettung hatte sie ihn umarmt, aber seitdem hatte sie es nie wieder gewagt, ihn zu berühren. Nun kostete es sie Überwindung, die Hand liegen zu lassen und sie nicht gleich wieder zurückzunehmen, als hätte sie sich verbrannt. Sie spürte die Brandnarben auf seiner Hand; sie fühlten sich an, als hätte man zwei Stofflappen übereinandergenäht. Vorsichtig streichelte sie darüber, erschauderte wieder, diesmal nicht vor Kälte, die sich in ihr ausbreitete, sondern vor etwas anderem, was sie nicht benennen konnte. So schnell jagte es durch ihre Adern, dass es fast unangenehm war.
Rasch ließ sie ihn los und stand auf. »Ich muss nach Aurelia sehen.«
Er machte keine Anstalten, sie aufzuhalten oder ihr zu folgen, sondern zeichnete ungerührt weiter. Erst als sie die Wohnstube schon fast verlassen hatte, murmelte er: »Siehst du – die Zeit verändert alles. Sie ist wie ein weicher Schleier, der sich über unsere Erinnerungen legt. Von meinen Brandwunden blieben Narben, und die tun nicht mehr so weh. Und Aurelia ist doch das beste Beispiel, dass aus etwas Bösem auch etwas Gutes entstehen kann.«
Sie antwortete nicht, sondern ging weiter, als hätte sie ihn nicht gehört. Doch draußen im Gang blieb sie stehen und konnte plötzlich nicht anders, als zu nicken.
»Du hast recht«, murmelte sie, obwohl er es nicht hören konnte. »Ich hoffe so sehr, du hast recht.«
26. Kapitel
D ie erste Stunde, die sie gemeinsam im Schafstall verbrachten, schwiegen sie sich an. Emilia verharrte steif in der einen Ecke, Arthur in der anderen. Immer dicker und schwüler stand die Luft, und Emilia musste ein Stöhnen unterdrücken. Zu arbeiten war sie gewohnt, herumzustehen nicht, und irgendwann taten ihr alle Glieder weh. Schließlich ging sie die Reihe der Schafe auf und ab. All jene waren hier versammelt, die sich beim Überfall leicht verletzt hatten, als sie über die zerstörten Zäune flüchten wollten.
Sie spürte Arthurs Blick auf sich ruhen, erwiderte ihn aber nicht, auch dann nicht, als er das Schweigen nicht länger
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