Jenseits von Feuerland: Roman
sagen, konnte es jedoch nicht. »Weil Greta … und weil mein Onkel Viktor …« Auch diesen Satz brachte sie nicht zu Ende.
Elisa sah sie voller Mitleid an. »Emilia«, fing sie schließlich langsam zu sprechen an und berührte sie sanft am Arm. »Emilia, kannst du dich an das erinnern, was ich dir einst vor vielen Jahren gesagt habe? Dass die beiden nämlich keine schlechten Menschen gewesen sind? Viktor und Greta hatten viele gute Eigenschaften – nur die Umstände haben aus ihnen gemacht, was sie waren: so verlorene Kinder und später so verbitterte Erwachsene. Du musst dich ihres Erbes nicht schämen, denn du machst das Beste daraus. Du hast die Stärke deiner Mutter, dich durchzuschlagen und zu überleben – aber du hast nicht ihre Bösartigkeit. Und Viktor … Viktor war sehr feinfühlig. Ganz gleich, was er ihr später angetan hatte – am Anfang wollte er Greta nur beschützen. Er war nicht roh und grausam, er war einfach nur hilflos und verletzt. Nein, Emilia! Du musst dich nicht schämen! Du musst dich nicht fürchten, du könntest werden wie sie! Rede dir das bloß nicht ein!« Elisa schüttelte den Kopf und seufzte dann tief. »Ach, ich wünschte, wir hätten es dir verheimlichen können. Du kannst mir glauben, ich habe Annelie die Hölle heißgemacht, weil sie so unbedacht …«
Wieder seufzte sie.
»Ihr meintet es gut«, erwiderte Emilia und fühlte sich plötzlich so erschöpft, als wäre sie stundenlang im Schafstall gestanden. »Ihr wolltet mich schützen. Aber das Leben ist, wie es ist, man kann sich nicht davor verstecken, sondern muss ihm ins Auge blicken. Die Wahrheit ist grausam – aber es ist eben die Wahrheit. Und vielleicht ist sie besser als alle Lügen.«
Das Zittern schwand aus ihrer Stimme, ihr Klang wurde energisch.
Elisa strich ihr über den Arm.
»Ich hoffe, du bist glücklich hier … In jedem Fall hast du ein Recht auf Glück. Sprich es dir nie ab!«
Emilia zuckte die Schultern und wandte sich wieder dem Mate-Tee zu. »Die Estancia macht Gewinn, Rita hat zurück ins Leben gefunden, Ana ist froh, dass sie nicht mehr bei Ernesta arbeiten muss, und Maril hat als Einziger seines Stammes überlebt … Verzeih, das sind so viele Namen, die du nicht kennst, aber ich denke doch: Ja, sie sind halbwegs glücklich.«
»Ich habe nicht nach den anderen gefragt, sondern nach dir«, meinte Elisa, und ihr Lächeln war ebenso warm wie traurig. »Ich sehe ihn dir an – den Stolz darauf, was du geschaffen hast, aber … aber reicht dieser Stolz auch?«
Emilia straffte den Rücken. »Ich brauche keinen Mann, schon gar keine Kinder, wenn du das meinst«, erklärte sie mit üblicher Schroffheit.
»Hast du denn nie wieder dein Herz geöffnet?« Elisa wirkte besorgt, und Emilia, die nicht daran gewöhnt war, dass sich jemand um sie ängstigte, neigte kurz dazu, sie mit ein paar knappen, grimmigen Worten abzufertigen. Aber dann fühlte sie sich von diesem wachen Blick entblößt. So hart konnte sie sich gar nicht geben, dass Elisa nicht ahnte, was tief unter dem Panzer in ihr brodelte.
»Es gibt jemanden, den ich … den ich …«, setzte sie an, aber sie wusste nicht, mit welchen Worten sie es ausdrücken sollte. Dass sie Arthur begehrte, war eine Wahrheit, zu der sie sich mühelos bekennen konnte, aber sie wusste nicht, ob diese Wortwahl bei Elisa angebracht war. Dass sie ihn liebte, war wiederum etwas, was sie strikt leugnete.
Doch sie musste den Satz ohnehin nicht zu Ende führen, denn plötzlich ertönte vom Patio her erneut Hufgetrampel.
Emilia hob fragend den Kopf.
Elisa senkte den Blick und wirkte plötzlich verlegen. »Das ist sozusagen die Nachhut«, erklärte sie kleinlaut. »Ich habe Cornelius förmlich getrieben hierherzukommen – bei ihm hingegen war ich mir nicht sicher, ob sein Kommen auch so eine gute Idee gewesen ist. Allerdings hat er sich nicht ausreden lassen, uns zu begleiten – das Einzige, wozu ich ihn bewegen konnte, war, erst uns ankommen zu lassen und selbst ein wenig zu warten. Ich dachte, es könnte dir zu viel werden, uns allen gleichzeitig gegenüberzustehen.«
»Von wem redest du?«
Elisa wich ihrem Blick aus. »Er arbeitet mittlerweile sehr eng mit Cornelius zusammen und ist oft in Valparaíso. Allerdings erscheint es ihm undenkbar, die Siedlung am See für immer zu verlassen.«
Emilia blickte nach draußen, und noch ehe sie ihn sah, wusste sie plötzlich, von wem Elisa sprach. Als sie in den Patio eilte, stieg er gerade vom Pferd –
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