Jenseits von Feuerland: Roman
Stimme neben ihnen. »Es war richtig, sofort hierherzukommen … und nicht erst Briefe zu schreiben. Worte können viel anrichten – was Blicke und Umarmungen so leicht ausräumen.«
Überwältigt von der Wiedersehensfreude, hatte sie gar nicht mehr darauf geachtet, dass ihr Vater nicht allein gekommen war. Elisa hatte ihn begleitet, Elisa Steiner, geborene von Graberg, seine große Liebe, von der sie während ihrer Kindheit nie geahnt hatte, genauso wie ihr nicht klar gewesen war, dass er ihre Mutter Greta einst nur aus Mitleid geheiratet hatte und um ihre Ehre zu retten.
Emilia versteifte sich kaum merklich. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Elisa gegenübertreten sollte. In ihrer Kindheit hatte sie sie gescheut, weil sie oft streng und distanziert wirkte; später hatte sie Vertrauen zu der Frau gefasst, in der sie die künftige Schwiegermutter gesehen hatte. Sie hatte es bedauert, dass diese noch vor der Hochzeit unerwartet die Siedlung am Llanquihue-See verlassen hatte, um – offiziell um ihrer Gesundheit willen, in Wahrheit, um mit Cornelius zusammen zu sein – in Valparaíso zu leben.
Eine Weile blickten sie sich nur an. Doch als Elisa ihre Arme ausbreitete, war es plötzlich ganz leicht und selbstverständlich, auch sie zu umarmen, wenngleich nicht ganz so innig wie ihren Vater.
»Was macht ihr hier?«, fragte Emilia wieder. »Woher wisst ihr, dass ich hier lebe?«
Cornelius hatte immer noch nicht die Fassung wiedergewonnen, um es ihr zu sagen, aber Elisa erklärte es mit raschen Worten. Emilia war zunächst zu verwirrt, um alles zu verstehen. Von Stoffen war die Rede und vom Handel mit diesen. Erst als der Name Fábrica de Bellavista fiel, begriff sie. Dies war das Handelshaus in Concepción, mit dem sie Kontakt aufgenommen hatte, um die von Rita hergestellten Textilien anzupreisen. Was sie nicht wusste, war, dass ihr Vater seit langer Zeit für die Firma tätig war, durch Zufall auf ihren Namen gestoßen war und sofort Nachforschungen angestellt hatte. Und so hatte er herausgefunden, dass sie die Besitzerin einer Estancia in Patagonien war.
»Es gibt kaum etwas, womit er in den letzten Jahren nicht Handel getrieben hätte«, schloss Elisa, »und vielleicht hatte das nur den Sinn, dass es euch endlich wieder zusammenführt.«
Emilia fand endlich die Muße, die beiden genauer zu betrachten. Der Vater erschien ihr beinahe unverändert, nur die einst rotbraunen Haare waren ergraut und etwas schütterer geworden, und sein Blick wirkte umwölkt – etwa der vielen Sorgen wegen, die er sich um sie gemacht hatte? Kurz packte sie das schlechte Gewissen, weil sie nie darüber nachgedacht hatte, wie er mit ihrer überstürzten Flucht zu Rande kam. Um Manuel hatte sie sich so viele Sorgen gemacht – um ihn kaum. Überdies verstörte sie die Frage, ob es nicht der größte Fehler ihres Lebens gewesen war, einfach zu gehen. Warum hatte sie nicht nur Manuel zurückgelassen, ohne dass er eine Chance hatte, sie zu halten, sondern auch ihn? Warum hatte sie nicht auf seine Rückkehr gewartet, hatte mit ihm gesprochen und versucht, eine Lösung zu finden?
Doch plötzlich wusste sie, dass es richtig gewesen war. Wenn sie ihm heute ohne Scham und Distanz begegnen konnte, dann lag dies nicht zuletzt daran, weil sie eine Frau war, die einen festen Willen bewiesen hatte und die sich ihrer Talente sicher war. Als Mädchen wäre sie von der Angst, er könnte sie ablehnen, förmlich zerrieben worden – erst jetzt war sie stark genug, diesen Ängsten zu trotzen.
Ihr Blick wanderte zu Elisa, die ein hartes, entbehrungsreiches Leben hinter sich hatte. Sie hatte zu den ersten deutschen Siedlern gehört, die am Llanquihue-See förmlich aus dem Nichts eine Welt erschaffen hatten. In den schwierigen Anfangsjahren hatte sie viele Opfer bringen müssen, hatte nicht nur ihren Mann Lukas verloren, sondern einen ihrer vier Söhne – und hatte so lange ihre Liebe zu Cornelius nicht leben können. Ein wenig sah man ihr die vielen Prüfungen an, sah es an den Furchen in ihrem Gesicht, den rauhen Händen und dem ergrauten Haar. Doch zugleich strahlte sie so viel Würde aus und Sturheit, sich dem Leben und seinen Tücken nicht zu beugen. Und sie wirkte glücklich – nicht auf diese aufgeregte, hektische Weise, die die Wangen rot färbt und das Herz schnell pochen lässt, sondern in dieser in sich ruhenden Art. Ihr Anblick versetzte Emilia unwillkürlich einen schmerzhaften Stich. Sie wusste nicht, woher er rührte. Weil sie sich
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