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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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beiden Schwiegermütter ist immer jemand für die Kinder da. Sie haben schon sechs.«
    »Sechs!«, rief Emilia ehrfürchtig.
    »Frag mich nicht, wie sie heißen. Ich kann mir unmöglich die vielen Namen merken«, erklärte Manuel. Längst hatte sich Emilia von ihrem Fleisch abgewandt, war zu ihm getreten und lehnte sich nun an den Tisch. Sie wollte weiterfragen, doch Manuel kam ihr zuvor und sagte überraschend: »Ich habe erst drei. Drei Kinder meine ich.«
    Seine Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz, aber es währte nicht lange und ging nicht sonderlich tief. Sie hatte keine Mühen, weiterhin zu lächeln. »Mit wem bist du verheiratet?«, fragte sie leise.
    Er senkte den Blick und antwortete nicht gleich, sondern erzählte zunächst von Resas jüngeren Töchtern Kathi und Theres. »Stell dir vor, sie haben beide die Siedlung verlassen und leben nun auf der Osterinsel.«
    »Du lieber Himmel! Was hat sie denn dorthin verschlagen?«
    »Ich glaube, es waren die vielen Engländer, die dort Schafzucht betreiben – ähnlich wie du hier. Kathi hat einen von ihnen geheiratet – und Theres ist ihr irgendwann gefolgt. Ob sie auch einen Engländer geheiratet hat, weiß ich allerdings nicht. Nun, und ich …«, er zögerte kaum merklich, »ich habe eine Tirolerin geheiratet, eine Großnichte von Barbara Glöckner. Unsere jüngste Tochter haben wir nach ihr benannt, aber wir rufen sie alle Bärbel. Unsere Älteste heißt Elisabeth nach meiner Mutter und unser Junge – das ist Lukas.«
    Emilia nickte. Also hatte er seinen Sohn nach seinem Vater Lukas Steiner benannt – oder vielmehr nach dem Mann, den er für seinen Vater hielt. In Wahrheit war er Cornelius’ Sohn, wie sie einst erfahren hatte, als sie in der Truhe versteckt Annelie und Barbara belauscht hatte. Ob Manuel dies jemals auch nur geahnt hatte? Und ob er sich, falls es so war, absichtlich blind stellte?
    In jedem Fall wirkte Manuel zufrieden – auf jene schlichte Art, wie Pedro zufrieden war, wenn er mit einstigem Walfang prahlen konnte.
    »Und wie lebt Barbara?«, fragte Emilia und entschied insgeheim, besser nicht mehr von Manuels Frau und seinen Kindern erfahren zu wollen.
    »Du weißt doch, dass Barbara einst Jules Schule übernommen hat, und diese leitet sie immer noch. Ich glaube, sie hat ihren Frieden gefunden, obwohl in den ersten Jahren noch viel geredet wurde – du weißt schon, über sie und Poldi. Mittlerweile denkt kaum einer mehr daran. Man schätzt Barbara, weil sie so schön singen kann und es den Kindern beibringt. Aber sie wird immer mehr wie Jule – so verschroben, meine ich. Wenn irgendwo gefeiert wird, ist sie die Letzte, die kommt, und die Erste, die geht. Sie sagt, sie fühlt sich allein am wohlsten. Nur mit Annelie und Christine verbringt sie gerne viel Zeit – und dann reden sie über alte Zeiten, nur nicht über Poldi.«
    »Und Poldi selbst?«
    »Er hat sich für sich ganz allein ein Haus gebaut und lebt dort ziemlich zurückgezogen. Er erklärt oft, er bräuchte nichts und niemanden, doch in Wahrheit besucht er regelmäßig eine Witwe in Valdivia. Wir wissen nicht viel über sie. Wer weiß … vielleicht zieht er irgendwann ganz zu ihr.«
    Emilia hatte sich mittlerweile neben ihm niedergelassen, die Ellbogen auf dem Tisch aufgestützt und den Kopf auf die Hände sinken lassen. Eine Weile plauderten sie weiter – über die schwachsinnige Katherl, die, obwohl längst eine alte Frau, immer noch den Geist eines Kindes hatte, über die fromme Magdalena, die sich ihr Leben lang wie eine Nonne gebärdet hatte, und über Fritz Steiner in Valparaíso, der früher als Apotheker gearbeitet hatte wie Arthur und jetzt für eine Zeitung schrieb.
    Je länger sie sprachen, desto befreiter fühlte sich Emilia in seiner Gegenwart. Die befürchtete Verlegenheit blieb ebenso aus wie sämtliche Anspannung – es war ihr einfach eine Freude, von den Menschen zu hören, mit denen sie aufgewachsen war. Und der Gedanke an die Kindheit schmerzte plötzlich nicht mehr. Sie sah nicht mehr, was sie verloren hatte, nur, wie unermesslich reich der Schatz ihrer Erinnerungen war. Von diesen ersten behüteten Lebensjahren in Annelies Obhut konnte sie ihr Leben lang zehren – auch wenn sie nie wieder an diesen Ort zurückkehren würde. Und auch dieser Gedanke tat nicht weh. Wenn sie den Llanquihue-See vor sich sah und die Feuerberge, die seine Ufer säumten, die duftenden Araukarienwälder und die goldenen Felder, so glaubte sie, sie würde von

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