Jenseits von Feuerland: Roman
einer Traumlandschaft sprechen – nicht von einem Ort, an dem sie tatsächlich gelebt, geliebt, gearbeitet hatte. Das tat sie hier, in diesem kargen, windigen, wilden Patagonien – ein Land, das es seinen Bewohnern nicht immer leichtmachte, aber ein Land, das zu ihrer Heimat geworden war, wie ihr nun plötzlich aufging.
»Ich denke, ich werde Annelie schreiben«, verkündete sie. »Wahrscheinlich hätte ich es schon längst tun sollen. Gewiss hat es ihr unendlichen Kummer bereitet …«
Sie brach ab, als sie sah, wie Manuel den Kopf einzog. Gedankenlos hatte sie an vermeintlich Verbotenem gerührt, und schon wollte sie es dabei belassen, doch als er weiterhin ihrem Blick auswich, erwachte jäh der Ehrgeiz, die Vergangenheit an den Hörnern zu packen wie einen störrischen Schafbock. »Manuel«, fing sie entschlossen an. »Manuel … es tut mir leid … Ich meine das, was ich dir damals angetan habe. Sicherlich hat es dich sehr … gekränkt, als ich so plötzlich verschwunden bin. Ich habe es dir in meinem Brief zu erklären versucht. Dass ich mich so schrecklich schämte, nicht Cornelius’, sondern … Viktors Kind zu sein. Aber dennoch war es feige, einfach zu gehen, anstatt offen mit dir darüber zu reden.«
Er hob wieder den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Verletzlich und trotzig war seiner – ein wenig so wie früher, wenn er sich darüber beschwert hatte, dass den älteren Brüdern so viel mehr erlaubt wurde als ihm.
»Ja«, bekräftigte sie, »es tut mir wirklich leid und …«
Doch schon glättete sich seine aufgewühlte Miene. Leichtfertig winkte er ab.
»Ach, das ist so lange her«, unterbrach er sie. »Ich denke kaum noch daran. Und so, wie es ist, ist es doch gut gekommen. Wir waren als Kinder gute Freunde, standen uns so nah wie Bruder und Schwester – aber wer sagt, dass wir auch gute Eheleute geworden wären?«
Zunächst war sie erleichtert, weil kein Schmerz in seinem Gesicht stand – dann verwirrt, weil sie sich fragte, wie tief dieser Schmerz überhaupt je gegangen war. Gekränkt war er sicher gewesen, verwirrt und verärgert, in seinem Stolz verletzt und womöglich kurz aus der Bahn geworfen, weil einer seiner Zukunftspläne nicht aufgegangen war. Aber hatte er jemals gedacht, dass er unmöglich einen weiteren Tag leben könnte ohne sie?
Nun, genau genommen, hatte sie das selbst auch nie gedacht. Sie war sich sicher gewesen, dass ihr Herz auf ewig gebrochen war – aber sie hatte immer weiterleben wollen, hatte nie daran gedacht aufzugeben.
»Ich habe dich geliebt«, rutschte es aus ihr heraus, und erst als es gesagt war, merkte sie, dass sie in Vergangenheit geredet hatte.
»Wir waren doch noch Kinder.« Wieder winkte er ab, aber diesmal schien ihr diese Regung aufgesetzt. Ganz gleich, was er behauptete und wie leichtfertig er über die Vergangenheit hinwegging – dass sie eigenmächtig und allein die Entscheidung über ihr Leben getroffen hatte, würde er ihr wohl nie verzeihen, und selbst wenn er es könnte – sie waren nun Menschen, die einzig die Vergangenheit einte, nicht der Ausblick auf eine gemeinsame Zukunft.
Und noch etwas anderes kam ihr in den Sinn. Vielleicht war er damals, als er aus ihrem Abschiedsbrief erfahren hatte, wessen Kind sie wirklich war, sogar erleichtert gewesen, dass sie das Opfer brachte und fortging und er nicht gezwungen war zu entscheiden, ob er sie unter diesen Umständen überhaupt noch heiraten wollte und konnte.
»Ich finde gut, was du hier aufgebaut hast«, sagte er plötzlich. Es war das erste Mal, das er von der Estancia sprach.
»Es war nicht einfach …« Sie überlegte schon, ihm mehr zu erzählen, doch dann fiel er ihr abrupt ins Wort, und anstatt eine Frage zu stellen, sprach er wie so oft von einem der vielen Handelshäuser, für die er arbeitete und denen er vielleicht ihre Schafwolle anpreisen könnte.
Sie nickte dann und wann, hörte ihm aber nicht wirklich zu. Ich habe dich geliebt, gingen ihr die Worte nach, ich habe dich geliebt …
Und dann berichtigte sie sich im Stillen: Zumindest habe ich es damals für Liebe gehalten … eine Art von Liebe, die Liebe von Freunden, die Liebe einer Schwester zu ihrem Bruder. Sie versuchte, die Nacht in der Lichtung heraufzubeschwören, aber das Einzige, was ihr einfiel, war die Panik, mit der sie damals Manuel an sich gezogen hatte. Sie war überzeugt gewesen, ihn zum letzten Mal zu sehen, und wollte nichts versäumen, auf nichts verzichten, ihn sich regelrecht
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