Jenseits von Feuerland: Roman
gegeben.
»Ich werde darüber nachdenken«, gab sie nach, »ich muss ohnehin wieder einmal nach Punta Arenas.«
Es entging ihr nicht, dass Rita sich nur mit Mühe ein Lächeln verbiss. »Wir haben im Augenblick genügend Böcke«, stellte sie mit mildem Spott fest.
»Irgendetwas braucht man immer«, knurrte Emilia, dann ging sie rasch ins Haus.
29. Kapitel
E milia brach sehr zeitig am Morgen auf. Sie hatte kurz überlegt, ganz allein zu reiten, aber der Gedanke an Esteban und Jerónimo hielt sie davon ab, und so nahm sie einen von Pedros Männern mit. Sie wählte den wortkargsten, der ihren plötzlichen Aufbruch nach Punta Arenas gewiss nicht kommentieren würde.
Am liebsten hätte sie sich gar nicht erst von ihnen verabschiedet, aber als sie schon auf dem Pferd saß, kamen Rita und Balthasar aus dem Haus. Beide musterten sie zwar wortlos, grinsten aber vielsagend.
»Glaubt nicht, ich reite nur seinetwegen«, erklärte Emilia frostig. »Wie ich schon sagte: Ich muss etwas erledigen.«
Anstatt nachzufragen, grinsten Balthasar und Rita weiterhin.
»So ist es dann wohl«, meinte Rita schließlich lapidar.
Schweigend gab Emilia dem Pferd die Sporen. Das erste Stück brachte sie mit zusammengekniffenen Lippen hinter sich, doch dann begann sie, den Ritt durch Patagoniens wilde Weite zu genießen. Der Steppenwind wehte wie so oft so stark, dass sie kaum Luft zum Atmen fand, ihre Haare wurden hochgerissen und peitschten über den Rücken, jede Faser ihres Körpers schien mit einem Glühen erfüllt zu werden. Auch früher hatte sie sich auf ihre Treffen mit Arthur gefreut, aber immer war sie dabei von der Verpflichtung gegenüber Manuel im Zaum gehalten worden, hatte geglaubt, die Liebe zu ihm bewahren zu müssen wie einen kostbaren Schatz, doch nun fiel diese von ihr ab wie eine quälende Last. Sie juchzte auf, und dann schrie sie lachend in den Wind, dass sie heilfroh war, Manuel nicht geheiratet zu haben und ständig hören zu müssen, welche Geschäfte er abschloss und wie viel Geld er verdiente. Sie verdiente ihr eigenes Geld, sie machte ihre eigenen Geschäfte, sie war die Herrin ihres Tuns!
Als der Wind etwas nachließ, konzentrierte sie sich wieder mehr auf den Weg. Sie ritten an Salzseen vorbei und an kleinen Bächen, über Sand und durch Wiesen, auf denen Sellerie, Löffelkraut und wilde Pastinaken wuchsen. Im ersten Stück verzahnte sich die Steppenvegetation mit den hügeligen Wäldern der Südkordillere, die von Ciprés- und Lengabäumen und den immergrünen Maitén bedeckt waren. Als es Richtung Meer ging, wurde das Land gelblicher und flacher, und das Stöhnen des Windes vermischte sich mit dem Heulen der Seehundherden, dem Schäumen der Gischt an den Stränden der Magellanstraße und dem Knirschen der Gletscher auf Feuerland, deren weiße Bergspitzen sie aus der Ferne grüßten.
Als sie an von Myrten bewachsenen Ufern entlangritten, kreuzten mehr und mehr Menschen ihren Weg, darunter einige sehr fremdländisch anmutende: Ihre Haut war fast schwarz, und um ihren Kopf waren sonderbare Stoffgebilde gewickelt. Erstmals wandte Emilia sich an ihren schweigsamen Begleiter: »Weißt du, woher sie kommen?«
Der Mann blickte kaum hoch. Er sah in diesen Fremden wohl nichts Ungewöhnliches.
»Ach, das sind syrische und türkische Händler. Die meisten kommen von Buenos Aires. Sie ziehen durch die Lande und kaufen bei den Indianern Teppiche, die sie dann viel teurer weiterverkaufen.«
Emilia konnte ihren Blick nicht von ihnen reißen, wohingegen diese Männer durch sie hindurchsahen.
Nun, da sie erstmals die Schweigsamkeit aufgegeben hatte, tat es ihr Begleiter ihr gleich und fragte unvermittelt: »Wenn ich in Punta Arenas bin – kann ich dann dort eine Weile bleiben?«
Emilia blickte ihn verwundert an: »Was willst du denn in Punta Arenas?«
»Dort will ich gar nichts, aber ich will weiter nach Feuerland reisen.« In dem ansonsten gleichmütigen Gesicht blitzte etwas auf – Abenteuerlust, aber auch Gier.
Emilia seufzte und konnte sich denken, was ihn dorthin trieb. Sie hatte selbst auf der weit entfernt gelegenen Estancia ihren Umlauf gefunden – die Geschichte eines Robbenkutters nämlich, der auf der Suche nach der östlichen Einfahrt zur Magellanstraße die lange und niedrige Steilküste Patagoniens entlanggefahren war, von einem Sturm überrascht und an das Ufer eines Kaps geworfen wurde, das Once Mil Virgenes hieß. Als die Schiffbrüchigen auf der Suche nach Wasser einen Brunnen aushuben,
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