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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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künftigen Pflichten gewöhnen.
    Aurelia bemerkte gar nicht, dass die Mutter aus ihren Augen verschwand – und Rita wusste sie umgekehrt bei Balthasar gut aufgehoben. Außer Ana und Emilia und vielleicht noch Pedro hätte sie niemandem ihr Kind so leichtfertig anvertraut.
    Sie selbst wollte sich nun in Ruhe der Aufgabe widmen, den Quillango zu bemalen. Dafür hatten sie und Maril in den letzten Tagen mehrere Farben angefertigt und ein windstilles Plätzchen in gleißender Sonne gesucht, wo man sie trocknen lassen konnte. Wie Maril trug sie mittlerweile selbst stets ein Ledersäckchen mit – Maril bewahrte darin das Material für die Bemalung seiner Haut auf, sie ihres zum Bemalen und Färben von Stoffen und Leder.
    Fast alles hatte sie mittlerweile darüber gelernt: wie sich rote Farbe herstellen ließ, indem man den Saft von Erdbeeren mit Straußenfett vermischte. Wie man aus Erde und Wasser Pastellstifte formen konnte und sie in der Sonne trocknen ließ. Und vor allem wie vielfältig die Erde in diesem kargen Land war: Man konnte daraus rote, schwarze, braune und gelbe Farbe gewinnen, manchmal sogar himmelblaue, rosa und graue.
    Rita hatte das Plätzchen abseits der Estancia erreicht, kniete sich auf den Boden und berührte die Stifte. Obwohl der Herbst bereits begonnen hatte, war der Tag noch warm, und sie waren tatsächlich getrocknet. Rita strahlte, so sehr freute sie sich aufs Bemalen des Quillango. Es war nicht ihr erster, aber bei jedem wuchs ihre Sicherheit und die Leidenschaft. Zuerst musste die Oberfläche etwas angefeuchtet und dann roter Ocker aufgetragen werden. Das Muster selbst, für das man sich entschied, musste immer wieder durchbrochen werden, denn die Tehuelche hegten den Aberglauben, dass kein Mensch jemals etwas vollkommen ausführen dürfte. Nur Futa Untru, der große Geist der Pampa, durfte das. Die Farben würden sehr leuchtend und ewig haltbar sein.
    Als Rita den Quillango vor sich ausbreitete und die Stifte daneben aufschichtete, musste sie an Emilia denken, die wahrscheinlich längst in Punta Arenas angekommen war. Hoffentlich traf sie dort tatsächlich auf Arthur – und hoffentlich gab sie sich ihm gegenüber nicht wieder so schroff und unnahbar.
    Rita war sich fast sicher, dass Manuels Besuch ihr die Augen geöffnet hatte – genauso wie Cornelius die ihren. Nein, an ihren Mapuche-Namen konnte sie sich immer noch nicht erinnern, aber sie hatte so viel erzählt, ohne dass sie vermeint hätte, daran zu ersticken, vielmehr ausführlich und lustvoll und in Erinnerungen schwelgend – vom Leben in ihrer Mission, von ihrer Großmutter und ihrem Vater, von Bruder Franz und wie er den ganzen Stamm getauft hatte. Den schrecklichen Überfall der Soldaten hatte sie ihm zwar nicht verschwiegen – aber Cornelius’ Fragen hatten das grausame Ende ihrer Jugend fast gänzlich ausgespart und ihm somit die Macht genommen. Bis dahin hatte sie oft geglaubt, dass ihr Leben, ehe sie den Llanquihue-See erreicht hatte, nur aus Leid und Tod, aus Schreien und Schüssen bestanden hatte, doch je mehr sie erzählt hatte, desto deutlicher wurde ihr, dass ihre Erinnerungen so viel reicher waren und auch so viel schöner. Es tat weh, sich umzudrehen – aber eben nicht nur. Und selbst der Schmerz hatte nicht nur Peinigendes, auch Süßes. Sie hatte nur verlieren können, was sie zuvor besessen – und genossen hatte. Und als Cornelius nicht nur voller Ehrfurcht von ihrem Vater Quidel, sondern vom ganzen Volk der Mapuche gesprochen hatte, hatte sie erstmals die Ahnung gestreift, was Maril meinte, wenn er vom Stolz auf seine Herkunft sprach und dass dieser Stolz das Einzige sei, was ihm geblieben war. Genau betrachtet, war ihm allerdings viel mehr geblieben – das Wissen, wie man jagte, ritt, Farben machte und sich bemalte. Und von diesem Wissen konnte sie nun zehren, konnte immer besser werden in dem, was sie tat – ein höchst angenehmes Gefühl. Vielleicht, dachte Rita, war es sogar Glück. Gemächliches, aber umso wahrhaftigeres Glück. Genauso wie es Glück war, Aurelia und Balthasar um sich zu wissen, Emilia, Ana und Maril, manchmal auch Pedro und …
    Plötzlich fiel ein Schatten auf sie. So in ihre Gedanken versunken, hatte sie nicht bemerkt, dass er die Sonne abschnitt und der Wind plötzlich kühl wehte. Langsam, ganz langsam hob sie den Kopf, sah zunächst nur Stiefel vor sich, dreckige und durchlöcherte.
    Ehe sie den Kopf noch weiter hob, um auch in das Gesicht des Fremden zu sehen, ehe

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