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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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aus ihrem Körper floh, wie die Gier erwachte, mit ihm zu verschmelzen, sich ihm ganz und gar hinzugeben.
    Manchmal, dachte sie, solange sie noch etwas denken konnte – manchmal ist auch ein ganz kleines bisschen unermesslich viel.

    Esteban Ayarza stand breitbeinig vor Rita.
    »Na«, fragte er gedehnt. »Wo ist dein Beschützer?«
    Seine Worte klangen genuschelt; sein Grinsen erreichte seine Augen nicht. Er wirkte triumphierend, aber zugleich irgendwie misslaunig. An einem der Bäume hatte er sein Pferd festgebunden.
    Das erkannte Rita allerdings erst später, viel später. Im ersten Augenblick war ihr Kopf wie ausgehöhlt. Sie konnte sich nicht rühren, nur zu ihm hochstarren. Als sie sich endlich fasste, ein Ruck durch ihren Körper ging und sie aufstehen wollte, war es zu spät. Er trat nach vorne und presste ihr einfach seinen Fuß auf die Brust. Sie glaubte, unter dem Druck zu ersticken. Und selbst wenn sie ihm standhielte, noch genug Luft zum Atmen fände – wie konnte sie weiterleben, wenn Esteban Ayarza sie berührte, sie trat, sie ihm hilflos ausgeliefert war?
    Doch Augenblick um Augenblick verging, ihr Körper versteifte immer mehr, ihr Entsetzen wuchs – aber sie starb nicht, und schließlich stieg inmitten der Panik auch Verwirrung hoch.
    Warum stürzte er sich nicht gleich auf sie? Warum blieb er einfach abwartend stehen? Und warum bebte sein Fuß?
    Sie ahnte es, als er fortfuhr: »Ihr habt mich ganz schön erwischt«, nuschelte er. »Ich konnte ein Jahr lang kaum gehen, ohne vor Schmerzen zu schreien. Aber glaubt nicht, dass ihr mich deswegen für alle Zeiten losgeworden seid. Unkraut vergeht nicht.«
    Er litt nicht nur an einstiger Verwundung, sondern war überdies sichtlich betrunken, und das grelle Sonnenlicht schien ihm nicht minder Schmerzen zu bereiten. Doch wenn er auch schwankte – der Druck seines Fußes war viel zu schwer, um sich dagegen zu stemmen.
    Rita ächzte, schloss die Augen, öffnete sie wieder. Sie ganz alleine … mit Esteban … der betrunken war … und voller Hass, weil er damals angeschossen wurde … vielleicht von Ana … oder Emilia …
    Allerdings – und dieser Gedanke, unerwartet nüchtern, milderte ihr Entsetzen ein wenig – Esteban war hier, aber Jerónimo nicht. Grimmige, verbitterte Augen bohrten sich in sie – doch nicht diese kalten graublauen, die das höhnische Lächeln des schmalen Mundes nie erreichte.
    Rita versuchte, sich ganz flach zu machen und ein Stück weit beiseitezurobben. Der Druck des Fußes verstärkte sich, aber auch das Zittern. »Ihr habt wirklich geglaubt, ich komme euch nicht mehr in die Quere, nicht wahr?«, zischte er. »Ihr dachtet, ihr könnt mir meine Estancia stehlen und dann einfach zufrieden weiterleben.«
    »Deine Mutter …«, setzte Rita tonlos an.
    Esteban kreischte auf. »Meine Mutter! Soll ich dir etwas über meine Mutter erzählen? Sie ist von der Gicht geplagt und kann kaum mehr arbeiten! Oder vielleicht hält gar nicht die Gicht sie davon ab, sondern die Faulheit. Früher hat sie wenigstens geschuftet, heute klagt sie fortwährend: ›Ich kann nicht mehr.‹ Und weißt du, was sie noch zu mir gesagt hat: ›Wenn du mich nicht gut behandelst, dann gehe ich fort von Punta Arenas.‹ Ja, genau das hat sie gesagt!«
    Er schüttelte den Kopf, was ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten schien. »Oh, ich weiß genau, was sie im Sinn hat. Wohin sollte sie gehen wollen, wenn nicht zu euch?«
    Rita erinnerte sich unscharf daran, dass Emilia Agustina einst nicht nur angeboten hatte, Geld zu schicken, sondern auch, die Estancia zu besuchen, ja, gar hier zu leben. Dass sie dieses Angebot ernst meinte, dessen war sich Rita sicher, denn Emilia war Agustina dankbar für das Land – ob sie sich aber ehrlich gefreut hätte, wenn die alte Frau aufgetaucht wäre, das glaubte sie nicht. Sie selbst zumindest war erleichtert, dass Agustina bis jetzt nicht auf das Angebot eingegangen war. Agustina war eine gute Frau, sonst hätte sie ihnen das Land nicht geschenkt – aber sie war eben auch Estebans Mutter.
    »Glaubt ihr, ich lasse mir das gefallen? Dass ihr Weiber euch gegen mich verschwört, mich übers Ohr haut? Diese Estancia gehört mir! Jeder Peso, den ihr damit verdient, gehört mir!«
    Er beugte sich vor, und der Geruch nach Branntwein schwappte ihr ins Gesicht. Ekel überkam sie, und vielleicht war es genau dieser Ekel, der sie stark machte – gemeinsam mit dem Wissen, dass Esteban ganz allein hier war, dass er ohne

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