Jenseits von Feuerland: Roman
Mönckeberg erlassen worden war, dem Stellvertreter des Bürgermeisters, denn der war mittlerweile selbst erkrankt und konnte sein Stadthaus in Övelgönne nicht verlassen.
Arthur schloss die Augen. Was war nur los mit ihm? Unmöglich konnte er es in diesem Zustand bis nach Sanct Pauli schaffen! Am besten, er kehrte wieder um.
Doch als er sich von der Wand löste, zerstob das Bild vor seinen Augen in viele kleine Sternchen. Kurz hatte er keine Ahnung, wo oben und unten war, rechts oder links. Der Schwindel verstärkte sich und mit ihm die Übelkeit. Wie eine dunkle Welle stiegen sie hoch und schlugen über ihm zusammen. Er trat einige Schritte vom Haus weg, glaubte zu fallen, als er noch aufrecht stand, und fiel schließlich, als er sich noch zu stehen wähnte. Plötzlich hörte er etwas krachen – es war der eigene Kopf, der schmerzhaft auf den Pflastersteinen aufgeprallt war, dann wurde es dunkel um ihn.
Als er die Augen wieder öffnete, schaukelte der Himmel. Die Übelkeit hatte etwas nachgelassen, aber im Mund schmeckte es so säuerlich, als hätte er sich übergeben. Obendrein fühlte er, dass er in einer nassen Lache lag – hatte er sich etwa in die Hose gemacht? Er versuchte, sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht. Schwer ließ er seinen Kopf wieder zu Boden fallen, der Himmel schaukelte daraufhin noch stärker. Erst nach einer Weile erkannte er, dass er nicht auf dem Boden lag, sondern auf einer Trage, und dass nicht der Himmel schaukelte, sondern er selbst.
Er versuchte, etwas zu sagen, doch aus seinem Mund kroch nur ein Stöhnen. Eben noch war ihm der säuerliche Geschmack im Mund am unerträglichsten erschienen, nun vermeinte er, man hätte Sand in seine Kehle geschüttet, so ausgetrocknet, wie diese sich anfühlte. Er schloss die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. Vorhin war der Himmel zwar bewölkt gewesen, doch nun brannten ihre Strahlen gnadenlos auf ihn herab. Er schwitzte, seine Haut glühte; jedes Fleckchen Körper schien in Flammen zu stehen.
Abermals wollte er etwas sagen, wieder stöhnte er nur.
Plötzlich erstickte irgendetwas das Feuer – nein, nicht irgendetwas, sondern Hände, kühlende Hände, die mit einem weichen Tuch über sein Gesicht strichen. Der säuerliche Geruch, der sich über ihm ausbreitete, kam diesmal nicht von seinem Erbrochenen, sondern vom Essig, mit dem er eingerieben wurde.
Er schlug die Augen auf, traute aber dem Bild nicht, das er sah. Fieber … er musste sich im Fieberwahn befinden …
Zwei Frauen standen links und recht von der Trage und beugten sich über ihn – Frauen, die Nora und Emilia glichen.
»Mein Gott«, stöhnte die eine, die Emilias Gesicht trug. »Wir müssen unbedingt …«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Nora mit ihrer kühlen Stimme. »Er ist doch jetzt hier. Wir können ihn behandeln …«
In seinem Kopf schwirrte es. Warum waren Nora und Emilia an ein und demselben Ort? War er gestorben und sie auch, und sie trafen sich in der Hölle wieder?
Im nächsten Augenblick zweifelte er jedoch entschieden daran, dass er gestorben war. So schlimm sämtliche Höllenqualen auch sein mochten – unmöglich, dass sie an die unerträglichen Krämpfe heranreichten, die nun seinen Leib schüttelten. Nein, noch war er nicht tot, aber wenn er diese Krämpfe noch einen Augenblick länger ertragen müsste, würde er gewiss bald sterben.
37. Kapitel
R ita ging unruhig auf und ab. Mittlerweile wusste sie ganz genau, wie viele Schritte sie machen konnte, bis sie an eine der Wände stieß. Wenn sie große machte, waren es fünf, wenn sie kleine machte, zehn. Doch so eng es auch war – sie musste in Bewegung bleiben, um nicht nur dem Trübsinn, sondern vor allem der Kälte davonzulaufen. Noch nie hatte sie so gefroren wie in diesen Tagen. Der Winter machte aus dem Stück Himmel, das sie erspähen konnte, ein graues Loch und aus dem Gefängnis von Punta Arenas eine Eiskammer.
Dies war der einzige Vorteil gewesen, als sie noch mit anderen Frauen eine Zelle geteilt hatte: Inmitten der vielen Leiber war es etwas wärmer gewesen, und sie hatte nicht jeden einzelnen Luftzug gespürt, der durch die Ritzen drang. Allerdings hatte es dort kaum eine Möglichkeit gegeben, zu schlafen. Immerzu war um sie gestöhnt und geweint worden, durchdringender Schweißgeruch war über der Zelle gehangen, und am schlimmsten waren die scheelen Blicke, die man ihr zugeworfen hatte.
Die anderen Frauen waren hier, weil sie gestohlen oder ihre Freier betrogen
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