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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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hatten, aber keine von ihnen war eine Rothaut. Und keine hatte einen Mann erschossen, der – so zumindest Jerónimos Worte – ein anständiger weißer Bürger gewesen war.
    Am Ende nahm sie die Kälte gern in Kauf, solange sie nur allein sein durfte. Sie wollte gar nicht wissen, wie viel Balthasar für dieses Privileg bezahlt hatte – bei weitem nicht das einzige, für den er den Wärter hatte bestechen müssen. Sie bekam zweimal am Tag zu essen – manchmal sogar eine anständige Fleischsuppe –, musste nicht auf kaltem Boden schlafen, sondern auf einem Strohsack, der zwar nicht breit, aber weich war – und sie durfte regelmäßig Besuch empfangen.
    Sie hatte Balthasar eindringlich beschworen, nicht zu viel Geld für sie auszugeben, aber sie konnte es ebenso wenig verhindern wie die Sorgen, die er sich um sie machte. Müdigkeit, Erschöpfung und Verzweiflung furchten sein Gesicht in diesen Tagen mehr, als es seine Brandwunden jemals vermocht hätten.
    Das Schlimmste war: Sie hatte kein Mitleid mehr für ihn übrig. Sie blickte mit toten Augen in seinen wunden Blick und verstand nicht, warum er für sie kämpfte. Sie war doch schon tot. Es schien ja kaum mehr Leben in ihr zu sein. Wenn sie nun wie ein gefangenes Tier auf und ab ging, war nur das stete Zittern ein Beweis, dass noch nicht alle Kräfte aus ihren Gliedern gewichen waren. Doch Wünsche, Hoffnungen, Sehnsüchte waren längst verschwunden. Sie wusste wieder, wie sie hieß, aber ansonsten war ihr Geist leer. Ihr Leben war abgeschlossen.
    Rita hörte Schritte auf dem Gang und wenig später, wie sich der Schlüssel umdrehte.
    Mittlerweile waren ihr die Geräusche des Gefängnisses so vertraut: das Stöhnen des Windes und der Menschen, das Klirren von Eiszapfen, die vom Dach fielen, das Würfelspiel der Wächter, die Stimmen der Soldaten. Das Gebäude war nämlich nicht nur Gefängnis, sondern auch Kaserne und Stützpunkt der chilenischen Armee. Manchmal war sie nicht sicher, ob jeder Laut, den sie vernahm, auch wirklich war, oder ob er nicht vielmehr von der Vergangenheit kündete – echoende Stimmen aus der Zeit, da Punta Arenas noch keine aufstrebende Stadt gewesen war, sondern eine Strafkolonie, die bei der großen Revolte der Gefangenen einmal zerstört worden war.
    Die Tür quietschte, als sie geöffnet wurde. Rita blieb mit dem Rücken zu ihr gewandt stehen, denn sie wusste, wer gekommen war. Sie kamen immer wieder, anstatt sich um die Estancia zu kümmern, behaupteten, dass es im Winter kaum Arbeit gebe – womit sie nicht ganz unrecht hatten –, und obendrein, dass nicht nur Pedro die wenige verrichtete, sondern auch Don Andrea helfen würde.
    Das war gewiss eine Übertreibung. Don Andrea hatte noch nie mit seinen Händen gearbeitet, wahrscheinlich betete er nur, und vielleicht erzählte er Aurelia Geschichten … hoffentlich gute, in denen keine bösartigen Kreaturen vorkamen und sie des Nachts um den Schlaf brachten.
    Oh, wenn es ihrem Mädchen nur gutging!
    »Rita …«
    Die Stimme erklang ganz dicht an ihrem Ohr.
    Nun endlich fuhr sie herum und hob abwehrend die Hände. »Bleibt mir fern! Ich möchte nicht wissen, wie viele Läuse ich habe.«
    »Pah! Das Ungeziefer weiß, wie hässlich ich bin, und stürzt sich gewiss nicht auf meinen Leib.«
    Balthasars Stimme klang spöttisch wie sonst, sein Mund war zu dem Versuch eines Lächelns verzogen, doch sein Blick wich ihrem aus. Sie wusste augenblicklich, dass er schlechte Neuigkeiten brachte.
    »Der Prozess? Steht nun fest, wann der Prozess beginnt?«, fragte sie gefasst.
    Balthasar blickte zu Boden, Ana jedoch, die nach ihm die Zelle betreten hatte, wagte sie anzusehen. Rita war dankbar, sie in diesen dunklen Stunden an Balthasars Seite zu wissen. Von allen Menschen, die sie kannte, war Ana immer diejenige gewesen, die das Elend der Welt am besten ertrug und dabei das gleichmütigste Gesicht aufsetzen konnte. Ihr Blick triefte weder vor Bestürzung noch vor Mitleid, und ihre Stimme zitterte nicht, sondern benannte die Dinge sachlich beim Namen. Und genau das war es, was Rita wollte. Kein Verzärteln, kein Schonen, keine Lügen. Sondern die Wahrheit, kalt und farblos wie der Winter.
    »Ja«, sagte Ana, »der Prozess findet nächste Woche statt.«
    »Gut«, sagte Rita und straffte die Schultern. »Meinetwegen könnte er morgen beginnen – ich bin bereit.«
    Balthasar hob langsam den Kopf, wich ihrem Blick aber immer noch aus.
    Sie seufzte. »Du verschweigst mir doch etwas«, stellte

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