Jenseits von Feuerland: Roman
Armen eines Liebhabers. Ich kann mir allerdings nicht denken, dass du einen solchen zum Duell gefordert hättest.«
»Wohl kaum …« Immer noch war er zu schwach, sich aufzurichten. Nora indes verschränkte ihre Arme vor der Brust und starrte auf ihn herab, irgendwie verächtlich und zugleich doch auch erleichtert, dass er lebte.
»Dieses Krankenhaus ist mein Liebhaber, sonst niemand. Es ist mein ganzes Leben.« Sie atmete tief durch. »Und in diesem Leben brauche ich dich nicht.«
Arthurs Augen weiteten sich entsetzt: »Soll das heißen, du setzt mich schwerkrank auf die Straße?«
»Du Dummkopf«, fuhr sie ihn an. »Natürlich nicht! Das soll vielmehr heißen, dass ich in die Scheidung einwillige. Und dann hoffe ich, dich für den Rest meines Lebens nicht mehr zu sehen. Glaub im Übrigen nicht, ich mache es deinetwegen – denn das hast du nicht verdient, so wie du mich behandelt hast. Aber Emilia verdient es – nämlich den Mann zu heiraten, den sie liebt. Ihr werde ich ganz gewiss nicht im Wege stehen.«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und ging zum nächsten Krankenbett, um sich um einen Patienten zu kümmern. Ihr Gesicht war wieder ausdruckslos und verriet nicht, wie schwer ihr dieser Entschluss gefallen sein musste und dass so viel mehr auf dem Spiel stand, als sie Arthur gegenüber zugegeben hatte.
Nein, er ahnte nichts – weder von den Auflagen des Wohlfahrtsverbandes, der seinen Mitgliedern eine christliche Lebensweise auferlegte, noch von Dr. Hufnagel, der nur einen geringen Anlass suchte, um die aufmüpfige Helferin loszuwerden. Doch Emilia wusste es.
Sie stellte das Glas Milch ab und trat lautlos zurück in den Gang. So musste Arthur eben ein bisschen länger auf eine Stärkung warten, sie hatte Wichtigeres zu tun.
»Schwester Margarethe!«, rief sie, als sie die ältere Frau entdeckte, an deren Seite sie Kranke versorgt hatte und deren Namen einer der wenigen war, die sie kannte. »Schwester Margarethe, ich muss unbedingt mit Ihnen reden!«
Es war zwei Monate später, als sich Nora wieder einmal auf den Weg zum Krankenhaus machte. Sie fröstelte, zog deswegen das Cape enger um sich und beschleunigte ihre Schritte. Im September war es unverändert heiß geblieben, doch mit dem Oktober war der Herbst gekommen. Der Nieselregen blieb ihnen erspart, aber Nebel hing dicht über der Stadt und wurde nur selten von bissig-kalten Stürmen vertrieben. Das kühle Wetter machte ihr nichts aus; es schien besser zu ihr zu passen als der Frühling, dessen Blütenpracht ihr stets wie eine unnütze Tändelei erschien, doch als sie die Treppen zum Krankenhaus hocheilte, konnte sie ein Zittern nicht unterdrücken – weniger von Kälte bedingt als von dem Grauen, das hinter ihnen allen lag. Obwohl im letzten Monat kaum mehr Cholerakranke eingeliefert worden waren, hatte die Seuche viele Spuren hinterlassen. Niemand fühlte sich bemüßigt, die Baracken, die man notdürftig und viel zu spät im Hof aufgestellt hatte, wieder niederzureißen. In vielen Krankensälen standen noch verdreckte Pritschen. So viele gleichfalls verschmutzte Laken und Kittel und Schürzen waren noch nicht gewaschen worden.
Ja, es gab viel zu tun – und dennoch hatte sie während der letzten beiden Wochen das Krankenhaus meist gemieden.
Sie wusste, dass es nichts gab, wofür sie sich schämen musste, aber sie hatte sich während des Scheidungsverfahrens regelrecht verkrochen, und als sie heute das Haus erstmals wieder verlassen hatte, war ihr die Stadt unendlich fremd erschienen. So vielen gramgebeugten, kummervollen Menschen war sie begegnet, die den Verlust eines oder mehrerer Familienmitglieder zu beklagen hatten. Zugleich aber war schon am helllichten Tag aus vielen Tanzlokalen nicht nur Musik, sondern auch Gelächter zu vernehmen, als wollten diejenigen, die überlebt hatten, keinen Augenblick mehr auf Lebendigkeit verzichten. Nur, was für sie Lebendigkeit war – war für Nora unnützer Rausch. Lebendigkeit bedeutete für sie, in diesem Krankenhaus zu arbeiten, doch sie war sich nicht sicher, ob das auch in Zukunft noch möglich war.
Nachdem sie das Portal durchschritten hatte, blieb sie kurz stehen und atmete durch.
Immerhin – vieles von dem, was sie befürchtet hatte, war nicht eingetreten. Sie hatte sich oft gefragt, wo sie leben würde, wenn sie sich von Arthur scheiden ließe. Da ihr Vater tot war, bliebe nur ihre Schwester und deren Mann, die sie aufnehmen könnten – Clarissa und
Weitere Kostenlose Bücher