Jenseits von Feuerland: Roman
waren aufgeregte Schritte zu hören. Schwester Margarethe kam auf sie zugelaufen – das erste Mal seit Wochen mit einer sauberen Schürze und einem Schwesternhäubchen, das nicht schief saß. Wie fast alle Angestellten des Krankenhauses war sie während der Epidemie abgemagert, doch nun waren ihre Wangen wieder rundlicher.
»Nora, hier sind Sie ja!«, rief sie und klang begeistert. »Wir haben schon so lange darauf gewartet, dass Sie zurück ins Krankenhaus kehren.«
Noch ehe Nora sich’s versah, hatte Schwester Margarethe sie am Arm gepackt und zog sie mit sich. Nora folgte ihr erst widerstrebend, bemerkte dann aber, dass sich auch auf Dr. Hufnagels Gesicht Verwirrung ausbreitete. Was immer Margarethe vorhatte – mit ihm war es nicht abgesprochen.
»Gott sei Dank hat jemand Sie kommen sehen – sonst hätten wir es gar nicht vorbereiten können«, murmelte Margarethe.
»Was vorbereiten?« Die Worte kamen gleichzeitig aus Noras und Dr. Hufnagels Mund.
Dann standen sie schon in einem der Krankensäle, aus dem die meisten zusätzlichen Pritschen weggeräumt worden waren. Den gewonnenen Platz hatte man genutzt, um einen kleinen Tisch mit weißen Spitzendeckchen aufzustellen. Frisch gebrühter Kaffee und Zwetschgenkuchen standen darauf.
Es war jedoch nicht das, was Nora am meisten erstaunte, sondern vielmehr die Schar an Schwestern und Pflegern, die um den Tisch einen Kreis gebildet hatten und ihr erwartungsvoll entgegensahen. Als sie ihren Blick schweifen ließ, erkannte sie auch manchen Arzt darunter. Sie alle lächelten Nora wohlwollend an.
»Was soll das?«, rief Dr. Hufnagel mürrisch, der ihnen in den Saal gefolgt war.
Niemand beachtete ihn, das Lächeln der Versammelten verstärkte sich vielmehr. Nora fühlte, wie sie errötete, nicht länger verärgert, sondern verlegen und auch ein wenig gerührt, als einer der Ärzte vortrat – ein älterer Mann, der sich immer ein wenig konfus gab und der wohl hoffnungslos verloren gewesen wäre, wenn ihm nicht Schwester Margarethe zur Seite stand. Diese bezeichnete er zwar gerne als Drachen, der ihn drangsaliere, aber er war für die Hilfe der robusten, tatkräftigen Frau dankbar, die nicht minder lange im Krankenhaus arbeitete als er und auf deren gesunden Verstand er sich stets verlassen konnte.
»Liebe Nora Hoffmann«, setzte er an. Er schien nicht ganz bei der Sache zu sein, brachte aber das Sprüchlein, das nun folgte und ihm wohl Margarethe mühsam eingebleut hatte, tadellos hervor. Er wolle diese Gelegenheit, da das Krankenhaus langsam wieder zum Alltag zurückgefunden habe und sie entsprechende Muße für solche Anlässe hätten, nutzen, um ihr zu danken, erklärte er. Unmöglich hätten sie die letzten Wochen ohne die bewundernswerte Hilfe von den vielen Freiwilligen überstanden, die für das Krankenhaus unermüdlich Opfer brachten. Sie, Nora Hoffmann, sei nicht die Einzige gewesen, die ihm und seinen Kollegen stets hilfreich zur Seite gestanden sei – doch kaum jemand habe sich so umsichtig, so kundig, so engagiert erwiesen. Ihre Erfahrung übertreffe die manch ausgebildeter Krankenschwester, ja, gar manchen Arztes.
Nora hielt ihre Augen gesenkt und spürte dennoch, wie alle Blicke auf sie gerichtet waren – einer davon gar nicht wohlwollend: Dr. Hufnagel stierte sie nahezu grimmig an. Doch als der ältere Arzt sich an ihn wandte und fragte: »Ist es nicht so?«, da widersprach er nicht, sondern knurrte lediglich: »Ich muss zu meinen Patienten.«
Sprach’s, drehte sich um und stürmte aus dem Krankensaal.
Schwester Margarethe tat, als hätte sie nichts bemerkt, und schnitt beherzt den Kuchen an. Als sie Nora als Erste ein Stück reichte, trafen sich ihre Blicke, und nun wusste Nora, was sie bereits geahnt hatte: Schwester Margarethe hatte diese Danksagung in die Wege geleitet, die es Dr. Hufnagel fürs Erste unmöglich machen würde, sie vor die Tür zu setzen.
»Danke«, murmelte sie.
Schwester Margarethe trat dicht zu ihr. »Nichts zu danken«, sagte sie lächelnd, »und wenn dann nicht mir. Denn eigentlich war dies alles Emilias Idee.«
Mit leicht zitternden Händen nahm Nora das Stück Zwetschgenkuchen entgegen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal etwas mit so gutem Appetit gegessen hatte.
39. Kapitel
D ie Schritte, die den Mittelgang des Gerichtssaals entlanghasteten, waren nicht sonderlich laut. Nie war Agustina Ayarza Rita so klein und so dünn erschienen – und nie so entschlossen. Sie hatte ihren
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