Jenseits von Feuerland: Roman
der Herzbube, der immer dicker wurde. Allein die Vorstellung, ständig deren Geschwätz zu hören, war ihr unerträglich – zumal sie sich bei Gustav Hoffmann immer wohl gefühlt hatte und ein herzliches Verhältnis zu Frau Christa und deren Enkel Flori pflegte.
Umso erleichterter war sie gewesen, als Arthur darauf bestand, sie solle weiterhin im Haus der Hoffmanns leben. Er würde künftig nur selten nach Hamburg kommen und könnte sich dann in einem Hotel einquartieren. Onkel Gustav hatte nichts gegen dieses Arrangement einzuwenden – nicht zuletzt, weil er hoffte, auf diese Weise den Skandal klein zu halten. Wenn sie weiterhin bei ihm lebte, kam die Nachbarschaft womöglich gar nicht erst auf den Gedanken, darüber zu tratschen, dass Arthur nicht mit seiner, sondern mit einer fremden Frau Hamburg verlassen hatte.
Als Nora an Emilia dachte, musste sie unwillkürlich lächeln. Dafür, dass Arthur sie einst behandelt hatte wie ein ungewolltes Möbelstück, hatte sie ihn oft verflucht, und dafür, dass das Scheidungsverfahren von Anwälten erledigt wurde und sie ihn nicht allzu oft sehen musste, war sie dankbar – aber im Grunde wusste sie nichts von ihm, hatte keine Ahnung, was er wollte und was ihn antrieb. Emilia hingegen mochte sie aufrichtig. Obwohl sie sich auf den ersten Blick nicht im mindesten ähnlich waren, spürte Nora eine Verbundenheit, als wären sie miteinander verwandt. Was für eine Wohltat, auf eine Frau zu treffen, die anpackte, wenn es notwendig war, die Entscheidungen traf, wenn sie anstanden, die sagte, was sie dachte, die sich energisch und stur, nicht zimperlich und ängstlich gab!
Emilia gönnte sie alles Glück der Welt, sie gönnte ihr sogar Arthur – und noch viel mehr gönnte sie Arthur diese Frau, an der er sich gewiss noch manches Mal die Zähne ausbeißen würde.
Auch nach der Genesung hatte Emilia keinen Zweifel daran gelassen: So ehrlich ihre Sorge um ihn gewesen war, so erleichtert sie sich zeigte, dass er lebte und sie die Chance auf eine gemeinsame Zukunft hatten – sein schäbiges Verhalten war nicht aus der Welt geräumt. Von seinem zerknirschten Gesichtsausdruck hatte sie sich nicht einfach erweichen lassen, sondern hatte – vor allem in den Tagen, da es ihm wieder besserging – oft naserümpfend über ihn hinweggesehen und an freundlichen Worten gespart. Nora konnte es nur ahnen – aber gewiss hatte sich Emilia nicht augenblicklich zur liebreizenden Gefährtin gewandelt, als sie schließlich gemeinsam das Schiff bestiegen hatten, das sie nach Chile bringen würde, sondern ließ Arthur auch weiterhin Buße tun.
Nora löste sich aus der Starre und ging die Treppe hoch. Die Ärzte und Schwestern, denen sie begegnete, begrüßten sie, aber sie war nicht sicher, ob in manchem Blick etwas aufflackerte, was Spott, Hohn oder Verachtung glich. Hatte sich bereits herumgesprochen, dass sie keine ehrbare Frau, sondern eine Geschiedene war? Dass sie deswegen den Auflagen ihres Wohlfahrtsverbandes nicht mehr entsprach, von diesem darum ausgeschlossen worden war und eigentlich nicht mehr hier arbeiten dürfte? Sie fühlte sich plötzlich verloren und klein. Ja, ein Niemand war sie hier, da sie doch weder zur Ärzteschaft noch zu den Schwestern gehörte und jetzt nicht einmal mehr ein offizielles Ehrenamt innehatte.
Sie erreichte den zweiten Stock und war erleichtert, den Gang leer vorzufinden. Doch kaum war sie ein paar Schritte weitergegangen, wurde sie von einer Stimme aufgehalten. Sie unterdrückte nur mühsam ein Seufzen, als sie sich umdrehte und sah, wie Dr. Hufnagel auf sie zugeschritten kam.
Wenn sie sich begegneten, machte er meist ein grimmiges Gesicht, nun hatte er ein fadenscheiniges Lächeln aufgesetzt – gewiss kein Zufall, wie es ihr durch den Kopf ging, sondern Ausdruck seines Triumphs.
»Frau Hoffmann«, setzte er gedehnt an, um sich gleich zu berichtigen: »Oder darf man sie überhaupt noch Frau Hoffmann nennen? Soll ich lieber Fräulein van Sweeten sagen?«
Nora fühlte, wie sie rot wurde – nicht vor Scham, sondern vor Wut. Sie wollte sich doch nicht klein, verloren und als Niemand fühlen müssen, schon gar nicht vor diesem Arzt! Sie hatte nie etwas Unrechtes getan! Warum musste sie diesen Blick aushalten, als wäre sie ein unanständiges Frauenzimmer, das sich auf der Reeperbahn verdingte?
Sie straffte ihren Rücken. »Ich werde weiterhin Hoffmann heißen«, sagte sie.
»Aber ich dachte …«, begann er und brach ab, denn plötzlich
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