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Jenseits von Feuerland: Roman

Jenseits von Feuerland: Roman

Titel: Jenseits von Feuerland: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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gegeben, wem die Macht über die Magellanstraße zustünde, doch vor einigen Jahren war endlich ein Friedensvertrag geschlossen worden, und seitdem kamen viele Argentinier über die Grenze, um Handel zu treiben. Die Chilenen behandelten sie höflich, aber nicht herzlich – und Emilia tat es ihnen gleich, wobei sie, genau betrachtet, überhaupt niemanden herzlich behandelte.
    An einem der Tische saßen Männer mit sehr auffälliger Kleidung: Die Felle des dunkelbraunen Fuchses hatten sie mit denen von Otter und Robbe zu einem Quillango, einem großen Mantel, zusammengestückelt. Wahrscheinlich waren es Robbenjäger, die bis in die Antarktis vordrangen. Sie hatten ihr Mahl bereits beendet und spielten nun Karten – entweder Tresillo oder Rocambor.
    Wenigstens machen sie für heute keine Arbeit mehr, dachte Emilia und überließ ihnen ausnahmsweise den Tisch, anstatt sie zu verscheuchen.
    Als Nächstes kam sie an einem Mann vorbei, der kein Wort gesprochen hatte, seitdem er die Wirtsstube betreten hatte, und der nun starr vor sich hin blickte. Emilia schenkte ihm etwas Wein nach, ohne dass er darauf reagierte. Gewiss war er einer der Holzfäller, die regelmäßig von den Versorgungsschiffen in den abgelegensten Buchten abgesetzt wurden, um dort für einige Monate zu arbeiten. Wenn sie zurückkehrten, konnten sie sich nur schwer an Lärm und Gerüche der belebten Welt gewöhnen und schienen wie erstarrt. Ungleich lebhafter gebärdeten sich die aufgeregten Goldsucher von der Ostküste Amerikas, denen die Reise durch das Landesinnere zu gefährlich war und die nun über die südlichste Stadt der Welt nach Kalifornien reisten, oder die grobschlächtigen Walfänger mit ihren abgehärteten Händen. Jedes Mal, wenn Emilia einem von ihnen begegnete, musste sie an Pedro denken, an seine Prahlerei und seine geheimen Ängste vor dem Walfang. Auch er war schon mehrere Mal hier Gast gewesen und hatte sie jedes Mal, wie damals beim Abschied, um die Taille gefasst, hochgehoben und an sich gepresst. Sie war glücklich, dass es jemanden gab, der sich freute, sie wiederzusehen. Wenn sie auch keine Familie mehr hatte – wenigstens gab es Rita, Ana und eben Pedro.
    Die Männer, die die nächsten drei Tische besetzt hatten, sprachen eine höchst eigenartige Sprache. Auch wenn sie sich am Spanischen versuchten, klang es höchst merkwürdig. Wie Emilia mittlerweile wusste, waren es walisische Schafzüchter. Die meisten ihrer Landsleute hatten sich am Unterlauf des Rio Chubut niedergelassen, andere hatten Land rund um Punta Arenas erworben. Derart in einen Streit vertieft, merkten sie gar nicht, dass Emilia mit Empanadas an ihnen vorbeihuschte, obwohl sie ansonsten zu den hungrigsten Gästen gehörten. Endlich hatte sie sich zum letzten Tisch vorgekämpft, wo die zwei ungeduldigen Männer saßen, von denen Ana gesprochen hatte. Sie musterte sie flüchtig, nahm einen großgewachsenen, blonden Mann wahr und einen viel kleineren, dunkleren, der unglaublich hässlich war. Sie überlegte kurz, welcher Nationalität sie wohl waren, als sie hörte, wie sie Deutsch sprachen.
    »Jetzt hab doch noch ein wenig Geduld, Arthur! Du hast drei Monate lang die Fische gefüttert – jetzt muss sich der Magen ohnehin erst wieder daran gewöhnen, etwas bei sich zu behalten«, erklärte der Hässliche.
    »Von wegen, ich habe immer die Fische gefüttert! Das ist nur zwei Mal passiert! Du warst genauso oft grün im Gesicht.«
    »Aber bei meinen Brandnarben fällt es nicht so auf«, gab der andere grinsend zurück.
    Emilia konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal Deutsch gesprochen hatte. Hin und wieder waren deutsche Gäste hier, und bei ihnen nutzte sie die Sprache der Kindheit, doch ansonsten hielt sie sich strikt ans Spanische. Manchmal stieg Wehmut auf, wenn sie Deutsch hörte, manchmal fühlte sie sich bei diesem Klang geborgen – nur heute fühlte sie weder das eine noch das andere, sondern war müde und gereizt. Sie stellte wortlos die Empanadas auf den Tisch und strich sich wieder ihre Haare aus der Stirn. Zweimal hatte sie heute schon ihren Zopf neu gebunden, und doch lösten sich immer wieder Strähnen daraus und lockten sich in der feuchten, heißen Luft. Sie trug schlichte, graue Kleidung, die vor allem bequem sein sollte, zugleich jedoch tief ausgeschnitten war, so dass der blonde Mann ihr ungeniert aufs Dekolleté starren konnte. Normalerweise machten ihr Anzüglichkeiten nichts aus, denn Männer, denen sie gefiel, zahlten

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