Jenseits von Feuerland: Roman
offenbar keinen Gedanken an sie zu verschwenden, denn sein Lächeln wirkte befreit.
»Wir sollten uns irgendwo Pferde ausleihen, damit wir das Land rund um Punta Arenas erkunden können«, sagte Arthur.
Balthasar blickte ihn nachdenklich an. Das Reiten fiel ihm wegen seines kurzen Beines schwer – auf der anderen Seite sehnte auch er sich danach, mehr von diesem fremden Land zu sehen.
»Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee«, meinte er. »Heute ist schließlich die letzte Gelegenheit dazu. Schon morgen geht es weiter nach Valparaíso!«
»Ich denke gar nicht daran!«, rief Arthur mit entrüstetem Unterton. »Jetzt haben wir endlich wieder Boden unter den Füßen und ich soll gleich das nächste Schiff besteigen? Nie und nimmer!«
Balthasar riss erstaunt die Augen auf. »Aber wir müssen doch weiter nach Valparaíso, um dort …«
»Wir werden noch mindestens einen Monat dorthin unterwegs sein«, unterbrach Arthur ihn rüde. »Das wird eine anstrengende Fahrt sein, für die wir Kräfte sammeln sollten. So schlecht lässt es sich hier doch nicht leben. Und ob ich ein paar Wochen früher oder später dort ankomme …«
Balthasar zuckte die Schultern und verzichtete darauf, zu fragen, was der ferne Onkel wohl davon hielte. Er hatte Gustav Hoffmann selten erwähnt – und schon gar nicht Noras Namen ausgesprochen. Seit sie Hamburg verlassen hatten, schien Arthur keinen einzigen Gedanken an sie verschwendet zu haben. Vielleicht hatte er sich lange genug eingeredet, keine Ehefrau zu haben, so dass er mittlerweile daran glaubte.
»Und was willst du hier machen, außer auszureiten?«, fragte Balthasar und konnte sich nicht verkneifen, grinsend zu sticheln: »Hier sind die Frauen zu störrisch, um deinen Verführungskünsten zu erliegen. Und das ist doch dein liebster Zeitvertreib.«
Arthur runzelte die Stirn. »Ich hab’s ja noch nicht bei jeder probiert«, erklärte er trotzig.
»Es soll hier mehr als nur ein Bordell geben«, stichelte Balthasar weiter.
»Pah!«, rief Arthur entrüstet. »Habe ich jemals für Frauen zahlen müssen?«
Balthasar brach in Gelächter aus. »Für unsere störrische Wirtin könntest du gar nicht genug zahlen, um sie für dich einzunehmen!«
Gekränkter Stolz verdunkelte Arthurs Züge, und wieder kicherte Balthasar. Arthur war so leicht zu reizen und seine Miene so gut zu lesen! Man sah ihm stets an, wenn er glücklich war, und ebenso, wenn er sich ärgerte.
»Ach was!«, rief er erbost. »Ich will dir was sagen, mein Freund: Frauen, die sich spröde geben, sind eigentlich am leichtesten zu knacken. Man muss nur die richtige Stelle in ihrem Panzer finden.«
»Bei der blonden Wirtin hast du aber noch keine Schwachstelle gefunden.«
»Weil ich es noch nicht richtig versucht habe!«, verteidigte sich Arthur.
Balthasar lachte vor sich hin, ersparte sich allerdings eine Entgegnung und griff nach seinem Skizzenblock. In den letzten Tagen hatte er vor allem Motive aus Punta Arenas gezeichnet, am liebsten den Hafen. Das Licht wandelte sich hier von Stunde zu Stunde. Manchmal war der Himmel düster und feindlich, manchmal die Luft so klar, dass man Feuerland mit seinen vielen kleinen Archipelen sehen konnte. Punta Arenas, so fand Balthasar, passte zu ihm, denn es war nicht im mindesten schön und hatte doch einen eigenwilligen Charme. Nun malte er jedoch nicht die Stadt, sondern das Gesicht einer Frau. Arthur erhob sich aus seinem Bett und beugte sich über den Skizzenblock.
»Wer soll denn das schon wieder sein?«
»Das ist die Frau, die außer der blonden Wirtin in der Herberge arbeitet. Insgesamt sind sie drei, wobei die dritte nicht immer da ist, vor allem nicht in der Nacht. Ana heißt sie, und die, die ich gerade zeichne, Rita. Und der Name unserer Wirtin ist Emilia. Ich frage mich, ob sie miteinander verwandt sind – ähnlich sehen sie sich zumindest nicht. Am meisten arbeitet Emilia, Ana ist auch ziemlich tüchtig und Rita sehr verträumt. Sie hat so schöne samtig dunkle Augen, aber meist scheint sie gar nicht zu sehen, was um sie herum vorgeht.«
Konzentriert machte Balthasar ein paar weitere Striche mit seinem Kohlestift. Seit zwei Tagen kämpfte er nun schon darum, diesen Gesichtsausdruck festzuhalten und das Sehnsüchtige, etwas Verschämte ebenso darzustellen wie das Melancholische.
»Wie hast du denn das alles herausgefunden?«, fragte Arthur verwirrt.
»Ich halte einfach die Augen offen«, meinte Balthasar spöttisch, »im Gegensatz zu dir, der du dich
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