Jenseits von Feuerland: Roman
Emilia einmal gefragt.
»Besser ich schlafe nicht«, hatte Ana knapp erklärt. »Wenn ich schlafe, werde ich doch nur von finsteren Träumen geplagt.«
Die Empanadas, die Emilia hastig buk, wurden im Fett erst gelb, dann goldig-braun, schließlich knusprig. Emilia nahm sie mit einer Gabel heraus und legte sie auf einen Teller – einem aus Blech, denn Porzellan konnten sie sich noch nicht leisten.
Dass die Gäste so ungeduldig waren, war eigentlich das größte Kompliment, das man ihr als Wirtin machen konnte. Und doch bedauerte sie es, wie die Zeit verrann, ohne dass sie zum Nachdenken kam, ihre Ersparnisse zählte oder Pläne machte, ob, wie und wann sie doch noch nach Deutschland reisen würde. So lange, wie sie nun schon in Punta Arenas lebte und so vertraut ihr die Stadt geworden war, war sie manchmal nicht mehr sicher, ob sie das überhaupt noch wollte. Allerdings: Wie sollte sie eine endgültige Entscheidung treffen können, wenn sie ständig mit Kochen, Putzen, Wäschewaschen und Gästebedienen abgelenkt war?
Zumindest für eines blieb Zeit genug: sich stolz zu sagen, dass sie Agustina längst ausgestochen hatte. Nicht, dass sie die alte Frau als Rivalin empfand. Genau genommen, hatte sie sogar Mitleid mit ihr, so sehr wie diese sich – nun wieder ganz auf sich allein gestellt – abrackern musste. Aber die wenigen Male, die sie Esteban Ayarza über den Weg gelaufen war, hatte sie ihn triumphierend angelächelt, und er hatte rasch den Kopf eingezogen. Gewiss hatte er gehört, wie gut die Casa Emilia lief, und ärgerte sich wohl insgeheim, so tüchtige Dienstmädchen aus dem eigenen, nunmehr wieder verdreckten Haus verjagt zu haben. Seit mehreren Monaten hatte sie ihn nun nicht mehr gesehen, und sie hoffte, er würde sich irgendwo als Fischer oder Robbenfänger verdingen und so schnell nicht wieder nach Punta Arenas zurückkehren. Auch wenn er weder ihr noch Rita oder Ana jemals wieder zu nahegetreten war – sie fühlte sich sicherer, musste sie nicht jeden Augenblick damit rechnen, ihm auf der Straße zu begegnen.
Sie wollte mit den fertigen Empanadas gerade in die Gaststube gehen, als Rita endlich in der Küche erschien. Emilia runzelte die Stirn, doch noch ehe sie zur Standpauke ansetzen konnte, begann Rita sich eilig zu rechtfertigen.
»Ich habe nicht gelesen!«, rief sie. »Ich war auf dem Markt einkaufen!«
Emilia schloss den Mund wieder und lugte in den Korb, den Rita bei sich trug. Immerhin war frischer Fisch darin und ein Eimer Milch. Doch auch wenn Rita nicht dem gefrönt hatte, was in Emilias Augen das schlimmste Laster war – diese absonderliche Liebe zu Büchern nämlich, die sie alles vergessen ließ –, ärgerte sie sich über deren Langsamkeit.
»So lange?«, knurrte sie. »Ich habe dich seit Stunden nicht gesehen. Du kannst mir nicht erklären, dass es so lange dauert, Fisch und Milch zu kaufen.«
Rita senkte verlegen den Blick. Ana indes kicherte. »Vielleicht hatte sie ein Rendezvous mit einem Mann«, schlug sie spottend vor.
Emilia schüttelte ärgerlich den Kopf. »Es ist schlimm genug, dass du Zeit mit Büchern verschwendest. Wenn du sie auch an Männern verscherbeln willst, dann hättest du gleich bei Ernesta im Bordell arbeiten können.«
Ihre Stimme klang bissig, doch in Wahrheit machte sie sich häufig Sorgen um Rita. Sie schien nie ganz in diesem neuen Leben, das Emilia so tatkräftig angepackt hatte, angekommen zu sein. Meist wirkte sie abwesend und wurde nur lebendig und fröhlich, wenn sie von ihren Träumen von der Zukunft sprach – ihrer Zukunft als Spanierin, die von einem Mann so sehr geliebt wurde wie Emilia einst von Manuel.
Eben färbten sich ihre Wangen rot, doch Emilia hatte keine Zeit zu überlegen, ob in Anas Worten nicht nur Spott, sondern tatsächlich auch ein Fünkchen Wahrheit steckte.
»Kümmere dich um den Rinderbraten!«, herrschte sie Rita an, dann eilte sie in die Gaststube, um den hungrigen Männern die Empanadas zu servieren.
Zwischen den Tischen war nur schwer durchzukommen, weil Emilia so vielen Gästen wie nur möglich Platz bieten wollte. An mühseligen Tagen wie heute fragte sie sich, ob das nicht vielleicht ein Fehler gewesen war – die Gäste hingegen beschwerten sich nie über Enge und Lärm; in Punta Arenas war man schließlich beides gewohnt. Es waren fast nur Männer, die ihre Gaststätte besuchten – in diesen Tagen auffällig viele Argentinier. Lange Zeit hatte es zwischen Chile und Argentinien Zwistigkeiten darüber
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