Jenseits von Timbuktu
politische Gefangene gefoltert und getötet wurden. Praktisch ausschlieÃlich welche mit schwarzer Hautfarbe. Ich erspare Ihnen die Einzelheiten,
aber wenn Pienaar und seine Helfer mit ihren Opfern durch waren, waren die meisten tot und wurden auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Daneben veranstaltete Pienaar dann eine Grillparty für seine Leute.«
Die letzten Worte waren so leise gesprochen, dass Anita sie nur im Nachhall verstand. In diesem Moment servierte Rastazöpfchen am Nachbartisch frisch gegrillte Steaks. Eine Duftwolke wehte zu ihnen herüber. Anita drehte sich der Magen um. Sie konnte sich in letzter Sekunde gerade noch die Hand auf den Mund pressen und krampfhaft schlucken, damit sie sich nicht übergab. Marina Muro war höchst uncharakteristisch still und blass, von ihren Nasenflügeln liefen zwei bläuliche Falten zu den Mundwinkeln. Niemand beachtete sie, nicht einmal ihr Regisseur, der Jill mit gespannter Intensität lauschte. Diese wirkte mittlerweile ruhiger, hielt die Hände aber immer noch so krampfhaft gefaltet, dass die Knöchel weià glänzten.
»Diese Einzelheiten sind erst nach dem Fall des Apartheidstaates herausgekommen.« Jills Stimme hatte an Kraft gewonnen. »Ende der Achtziger wechselte Pienaar seinen Arbeitsplatz und ging nach Europa, wo er für die Anschläge auf politische Gegner des Apartheidregimes in Ãbersee zuständig war. Briefbomben, in Kopfhörern versteckte Bomben, vergiftete Kleidung, die gerne auch für Kinder von Regimegegnern â¦Â«
»O Gott«, murmelte Marina Muro.
»⦠vergiftetes Bier«, fuhr Jill fort. »Derartige Sachen waren sein Hobby. Seine Tarnung als internationaler Playboy mit Rennboot und Privatflugzeug war perfekt. Er war ⦠er war teuflisch gut, teuflisch erfolgreich.« Sie verstummte.
Anita überlief ein Schauer. Jills Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war das, was sie jetzt vor sich sah, grauenvoll. Niemand sagte ein Wort, alle hielten den Blick gesenkt. Der Wind raschelte in den Bäumen, leises Gläserklirren begleitete animiertes Gesprächsgemurmel, eine Taube gurrte. Friedliche Geräusche.
Nach einer langen Pause fand Jill wieder zu sich und redete weiter. »Es gibt einen Ausspruch von ihm, der mich noch heute in meinen Träumen heimsucht«, flüsterte sie rau. »Elf Monate im Jahr jage ich Menschen, pflegte er zu sagen, im letzten Monat mache ich Ferien. Dann jage ich Tiere â¦Â« Sie verstummte abermals.
»O scheiÃe«, flüsterte Dirk.
»Er hat ⦠er ist â¦Â«, begann Jill, brach dann aber wieder ab. Tränen glänzten in ihren Augen. »O verdammt, Entschuldigung ⦠es geht gleich wieder.« Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Es war totenstill am Tisch. Die anderen verharrten in erschüttertem Schweigen, bis Jill sich wieder gefasst hatte.
»Er hat meinen Bruder und meine Mutter auf dem Gewissen. Mein Bruder flog mit einer Paketbombe in die Luft, meine Mutter ist mit einem Flugzeug abgestürzt. Die Ursache ist zwar bis heute nicht geklärt, aber es gibt viele Gerüchte über den Absturz.« Sie hatte schnell geredet, wie um den Satz loszuwerden. »Dass ⦠es eine Bombe war, dass der Geheimdienst eine Ausländerin, eine hochrangige Kommunistin, eliminieren wollte. Ein anderes Gerücht besagt, dass sie sich eines Professors entledigen wollten, der dem geheimen Broederbund der Afrikaansen angehörte und trotzdem gegen die Regierung kämpfte ⦠Am Ende ist es egal. Meine Mutter ist tot. Erst vor ein paar Jahren hat man das Flugzeug gefunden. Zur gleichen Zeit ist Pienaar hier aufgetaucht und hat probiert, sich Inqaba unter den Nagel zu reiÃen.« Sie starrte hinaus in die Schwärze der Tropennacht, und das Grauen von damals spiegelte sich auf ihrem Gesicht.
Anita versuchte sich vorzustellen, wie das gewesen sein musste. Die Briefbombe, der Flugzeugabsturz. Die Familie zerstört. Mit einem Stich im Herzen wurde ihr klar, dass Jill das durchgemacht hatte, was sie im letzten Jahr erlebt hatte, nur auf unvorstellbar gewaltsame Weise und in noch gröÃerem Umfang. Auch sie war plötzlich allein und ohne Halt dem Sturm preisgegeben gewesen.
Aber bei mir ist kein Nils mit breiten Schultern aufgetaucht, schoss es ihr durch den Kopf, niemand war für mich da, keiner hat mich festgehalten. Ich war ganz allein. Bin allein, dachte sie und ertrug das
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