Jenseits von Timbuktu
Wortführer des Lynchmobs gewesen.
»Bist du gekommen, um dir dein Pfund Fleisch aus Usathane zu schneiden?«, hatte er ihr zugeflüstert. »Eines für deinen Bruder und eines für deine Mutter?«
Die Worte hatten sie erstarren lassen. Atemlos hatte sie ihm gelauscht, als er ihr mitteilte, was der Mann, den die Schwarzen Usathane nannten, getan habe, ihr sagte, dass Pienaar für den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders verantwortlich sei. Völlig auÃer sich vor Erregung hatte sie schlieÃlich vor dem ehemaligen Kommandeur der Eliteeinheit gestanden, dem Mann, der ihre Familie zerstört hatte. Erst ihren Bruder, dann ihre Mutter und dann Christina, das Baby, das sie durch den Schock verloren hatte. Ihre gesamte Familie.
Die schrecklichen Bilder von damals tauchten wieder vor ihr auf. Tommy im Leichenschauhaus, der Paketaufkleber, der in seiner blutigen Brusthöhle klebte. Der Tag, als sie ins nasse Grab ihrer Mutter im Indischen Ozean getaucht war. Deren skelettierter Arm, in dessen Knochenfingern eine goldene Kette mit einem Opal-Anhänger hing, der in der Düsternis des nassen Grabes so erschreckend lebendig schillerte.
Nils, der sie während ihres Berichts nicht aus den Augen gelassen hatte, legte ihr den Arm um die Schulter und schob ihr
wortlos den Wodka hin. Gehorsam nahm sie einen Schluck und schüttelte sich reflexartig, ehe sie fortfuhr.
Pienaar habe gestunken, sagte sie. Nach Angst. Diesem abstoÃenden, säuerlich scharfen Geruch, und sie hatte sich gefragt, ob er diesen Geruch von seinen Opfern so gewohnt war, dass er ihn an sich selbst nicht mehr bemerkte. Die strammen Seile und die Bauchlage hatten eine normale Atmung verhindert, und er habe wie ein Tier hechelnd über dem Sattel gehangen. Ein jämmerlicher, abstoÃender Anblick.
»Ich habe ihn gefragt, warum«, sagte sie leise. »Aber statt einer Antwort hat er mir vor die FüÃe gespuckt. Selbst in dieser Lage hat er seine Arroganz nicht abgelegt.« Sie stockte, erinnerte sich nur zu gut daran, was dann geschehen war.
Sie war explodiert. Rasend vor Wut hatte sie einem der Männer die Waffe entrissen, und bis ans Ende ihrer Tage würde es ihr im Gedächtnis bleiben, dass sie tatsächlich angelegt hatte. Auf einen Menschen. Und den Finger am Abzug gekrümmt.
Glücklicherweise war es Nils rechtzeitig gelungen, sich durch die fanatisch brüllende Menge zu ihr durchzuboxen und ihre Waffe beiseitezuschlagen. Er hatte sie grob geschüttelt und so lange angeschrien, bis sie zu sich gekommen war. Bis heute hatte sie das Entsetzen über ihr Verhalten, das ihm ins Gesicht geschrieben stand, nicht vergessen. Bis heute schämte sie sich dafür. Bis heute war sie sich nicht sicher, ob sie den Abzug durchgezogen hätte.
Sie starrte ins Leere. Damit war es noch nicht vorbei gewesen.
»Er tanzt auf den Knochen unserer Freunde â¦Â« Popis Stimme war sanft wie der Wind in den Bäumen gewesen. »Er tanzt auf den Knochen unserer Freunde und der unserer Kinder. Aber nun werden wir auf seinen Knochen tanzen â¦Â« Dabei hatte er einen Panga in der Faust gehalten, das breite Hackmesser der Zulus. Die Menschenmasse um ihn herum hatte wie Lava gebrodelt.
»Wozani, kommt!«, schallte es ihr aus der Vergangenheit in den Ohren. »Bulala, tötet!«
Pangas waren durch die Luft gepfiffen, Maschinenpistolen geschüttelt worden. Jemand hatte seine Waffe mit metallischen Ratschen durchgeladen, mehrere andere waren gefolgt, und da hatte sie gewusst, dass auch Nils und ihr nicht mehr viel Zeit verbleiben würde, zu entkommen. Schon hatte sie geglaubt, den Gestank von verbranntem Gummi und geröstetem Fleisch riechen zu können.
In letzter Sekunde, als die Situation bereits auÃer Kontrolle geraten war, war Ben erschienen. Ben Dlamini, ein Baum von einem Mann. Nellys Mann und Jonasâ GroÃvater, der Zulu-Häuptling, der ihr alles beigebracht hatte, was sie über die Natur ihres Landes heute wusste. Wie aus dem Boden gewachsen hatte er plötzlich vor seinen Stammesgenossen gestanden. Zu seinen Arbeitshosen hatte er ein Leopardenfell über den nackten Oberkörper geworfen, auf dem Kopf trug er eine Krone aus Stachelschweinstacheln.
»Cha, nein!« Wie Donner war seine Stimme über den Platz gerollt, hatte den Tumult übertönt, das Geschrei verstummen lassen. »Ich will, dass diese Männer vor der Wahrheitskommission stehen und
Weitere Kostenlose Bücher