Jenseits von Timbuktu
sie doch nur auf der Nase herum.«
Trotz der bösen Situation musste sie lächeln. »Sowie sie von Lucy nach Hause kommt, werde ich sie mir vorknöpfen. Das hatte ich ohnehin vor. Ein T-Shirt und ein Paar Shorts von ihr sind unauffindbar. Beide sind relativ neu, und die Shorts sind ihre Lieblingsshorts, und das macht mich stutzig. Da ich nicht annehme, dass eine unserer Angestellten oder einer der Gäste die geklaut haben, muss etwas anderes dahinterstecken. Obendrein habe ich aus der Küche gehört, dass immer wieder Essen verschwindet. Nicht viel, aber immer, wenn vorher Kira da gewesen ist. Unsere Kira hat zwar dauernd Hunger, aber sie braucht nur in der Küche zu fragen und bekommt dann alles, was sie will. Es gibt keinen Grund für sie, heimlich Essen zu klauen.«
Sie vergewisserte sich mit einem schnellen Blick auf Luca, dass er nicht zuhörte. Aber der war völlig in ein Spiel auf einem nervtötend piependen elektronischen Gerät versunken und stieà dabei höchst merkwürdige Geräusche aus. Seine Mutter verdrehte die Augen. Das Ding drohte sie in den Wahnsinn zu treiben, aber wenigstens war er beschäftigt.
»Seit ich Kira heulend bei Anita auf der Treppe gefunden habe, kann ich das dumme Gefühl nicht abschütteln, dass sie irgendjemanden im Busch mit Essen und Kleidung versorgt. Und ich bin überzeugt davon, drauÃen am Fluss ein Kind gesehen zu haben.« Sie fing Nilsâ skeptischen Blick auf und setzte ungeduldig hinzu: »Glaub mir, es war entweder ein Kind oder ein kleiner Erwachsener. Daran habe ich keinen Zweifel. Auch wenn unsere bisherige Suche erfolglos war.«
»Verdammt«, murmelte Nils. »Ein Kind bei uns auf dem Gelände, bis an die Zähne bewaffnete Wilderer und jetzt noch Len Pienaar. Was geht hier eigentlich vor?«
Unter den Bougainvilleakaskaden entlang erreichten sie ihr
Privathaus. Er ging ihr voran, schob die Glastür vom Wohnzimmer zurück und lieà sie eintreten. »Bleib du hier bei Luca, ich hole Kira von Lucy ab. Aber mach alle Türen zu, und stell die Alarmanlage an. Soll ich die Hunde schon holen?«
»Nein, nein, noch nicht. Ich bringe inzwischen Luca ins Bett und lese ihm noch ein bisschen vor, damit er zur Ruhe kommt.« Sie schob die Tür hinter Nils wieder zu, schloss alle Fenster, drehte die Klimaanlage auf die niedrigste Temperatur und aktivierte nach kurzem Zögern die Alarmanlage. Energisch drückte sie die Erinnerung an den Terrorzaun und elektrisch geladene Drähte beiseite, an das ständige Gefühl von Gefahr, das früher ihren Tagesablauf beherrscht hatte. Im Kinderzimmer setzte sie sich zu Luca aufs Bett und wählte eine Geschichte über die Abenteuer eines kleinen Jungen im Schnee der Alpen aus. Leise begann sie daraus vorzulesen.
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Als Nils eine Stunde später mit Kira das Haus betrat, umfing ihn tiefe Stille. Eine völlige Abwesenheit jeglichen Geräuschs. »Bleib hier stehen, Kira, rühr dich nicht vom Fleck, hörst du?«, flüsterte er seiner Tochter zu.
Dann hetzte er, seine plötzlich aufwallende Angst nur unzureichend unterdrückend, zum Kinderzimmer und öffnete leise die Tür. Jill lag ausgestreckt auf Lucas Bett und hielt ihren kleinen Sohn im Arm. Sein Kopf ruhte in ihrer Halsgrube, und beide schliefen fest. Er fiel gegen den Türrahmen und brauchte ein paar Atemzüge, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Kira rannte an ihm vorbei ins Zimmer.
»Mami, aufwachen!«, krähte sie und warf sich aufs Bett.
Luca quietschte, Jill schoss hoch und schaute orientierungslos um sich, bis sie Kira sah. »Hi, SüÃe.« Sie zog ihre Tochter an sich und küsste sie ausgiebig. »Wie warâs bei Lucy?« Ãber den dunklen Lockenkopf warf sie ihrem Mann einen Luftkuss zu und klopfte aufs Bett. Er setzte sich zu seiner Familie.
»Wie warâs bei Lucy?«, fragte sie.
»Super!«, zwitscherte Kira, kuschelte sich in ihre Arme und erzählte.
Nachdem sie noch ein bisschen mit ihren Kindern gespielt hatten, brachten Jill und Nils die beiden gemeinsam ins Bett. Die Diskussion über die verschwundenen Jeans und das T-Shirt und die merkwürdigen Vorgänge in der Küche verschoben sie auf den morgigen Tag. Leise schlossen sie die Kinderzimmertür hinter sich.
»Jetzt möchte ich einfach mit dir allein sein. Keine Kinder, keine Gäste, keine Wilderer und was uns sonst noch stören
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