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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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in seine Augen zu schauen. Hinter ihren geschlossenen Lidern leuchtete der Traum, den sie mit ihm geträumt hatte, als winziger, strahlender Punkt in der Finsternis. Dann verlosch er. Ohne dass sie es verhindern konnte, stürzten ihr die Tränen aus den Augen, und eine Welle von Selbstmitleid schwappte über sie hinweg. Für Minuten hatte sie dem Weinkrampf nichts entgegenzusetzen. Irgendwann versiegte der Tränenstrom, und sie vergrub erschöpft das Gesicht in den Händen. Sie hasste sich für ihre Schwäche, hasste Pienaar dafür, dass er sie zu diesem Jammerhäufchen reduziert hatte.
    Eine zarte Berührung an ihrem Arm ließ sie aufschauen. Eines
der Kinder, ein etwa zwölfjähriges Mädchen mit samtig dunkler Haut, streichelte sie und murmelte sanfte Worte in seiner Sprache, die Anita zwar nicht verstand, aber das war nicht nötig. Eine nach der anderen krochen die Mädchen zu ihr, bis sie von einem warmen, atmenden Schutzwall umgeben war. Ein Dutzend dunkler Augenpaare schauten zu ihr auf, hier und da schimmerten Zähne in einem schüchternen Lächeln.
    Mit einem verlegenen Lachen wischte sie ihr Gesicht trocken. Sie schämte sich insgeheim, dass sie sich vor den Kindern so hatte gehen lassen. »Ngiyabonga«, flüsterte sie.
    Eines der älteren Mädchen, dessen Haar, in viele winzig kleine Zöpfchen geflochten, wie Igelstacheln abstand, berührte vorsichtig ihren Arm. »Kira schafft es«, sagte sie leise in stockendem, gebrochenem Englisch. »Sie hat gesagt, sie weiß, wie sie nach Hause kommt. Gott wird sie beschützen. Gott wird uns alle beschützen.«
    Hoffentlich, dachte Anita, und kreuzte zur Vorsicht ihre Finger. »Wie heißt du?«, fragte sie das Mädchen. »Kommst du aus Südafrika?«
    Â»Nyasha. Ich komme aus Simbabwe.« Leuchtende schwarze Augen, dichte Wimpern, ein Lächeln mit einer großen Zahnlücke vorn rechts.
    Anita lehnte mit dem Rücken leicht geduckt an der feuchten Mauer. Sie konnte sich kaum rühren. Die Kleinen hatten sich in ihre offenen Arme gedrückt, so eng, dass sie teilweise aufeinanderlagen und sie an kleine Sardinen in der Dose erinnerten. Zwölf kleine Sardinen mit Augen wie schwarze Kirschen. »Seid ihr alle aus Simbabwe? Wie kommt ihr hierher?«
    Nyasha übersetzte, und darauf redeten alle durcheinander und schoben sich noch näher an Anita heran. Ein Dutzend dunkler Augenpaare schaute vertrauensvoll zu ihr auf. Hier und da versuchte eine ein schüchternes Lächeln. Anita starrte in die Kinderaugen. Unvermittelt tauchten aus ihrem tiefsten Inneren die
Gesichter der Versuchsäffchen im Labor auf und schoben sich über die der Mädchen. Ihr Herz begann zu rasen, sie brach in Schweiß aus, und ihr Blickfeld löste sich in nebliges Flimmern auf. Unwillkürlich hielt sie sich an den zarten Körpern fest. Die Mädchen kicherten und kuschelten sich noch dichter an sie. Weiche Haut streichelte sie, ihre zierlichen Körper lagen mit einer süßen Schwere auf ihr.
    Eine warme Welle überschwemmte sie. Von Dazugehören, von Frieden. Von der Gewissheit, endlich am Ziel angekommen zu sein. Die Flashback-Attacke ebbte ab, die Bilder der Äffchen wichen in die Schatten zurück. Zutiefst verwirrt von diesen unerwarteten Gefühlen, stellte sie fest, dass ihr nicht einmal bewusst gewesen war, dass sie etwas suchte. Ihren eigenen Emotionen nicht trauend, überlegte sie, ob sie vielleicht nur so zermürbt von der Situation war, immer noch so angeschlagen von Franks Tod und dem ihrer Mutter, dass sie gedanklich eine Zuflucht herbeisehnte.
    Der harsche Ton Len Pienaars, der draußen irgendwelche Befehle brüllte, riss sie heraus aus dem warmen Kokon. Sie richtete sich auf, zog sie die Kinder enger an sich, bereit, sie mit ihrem eigenen Körper zu schützen. Diesen komplizierten Empfindungen würde sie auf den Grund gehen, wenn sie Zeit dazu hatte. Jetzt brauchte sie alle ihre Sinne, all ihre Kreativität, um einen Weg zu finden, mit den Kindern hier herauszukommen. Die Frage, ob sie allein fliehen sollte, stellte sich ihr nicht. Entweder mit den Mädchen oder gar nicht.
    Len Pienaars Stimme kam näher.

19
    W ilson blieb so abrupt stehen, dass Jill ihm in den Rücken stolperte. Seit ein paar Minuten waren sie zu Fuß unterwegs, um eine selbst für geländegängige Wagen unzugängliche, dicht mit Dornenbüschen

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