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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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Hand. »Ma’am, sie hat Imfiva. Das geht vorbei. Viele von uns haben das. Wir haben schon lange keine Medizin mehr bekommen.«
    Â»Imfiva?«, wiederholte Anita verständnislos.
    Â»Das Fieber«, erklärte Kira. »Malaria.« Sie musterte die Mädchen. »Und einige haben auch Aids«, setzte sie hinzu.
    Malaria. Aids. Anita schaute hilflos auf Chipi hinunter, die immer noch von heftigen Zitteranfällen geschüttelt wurde. Sollte sie die frierende Kleine zudecken? Andererseits herrschten mit Sicherheit über 40 Grad im Raum, und außerdem hatte sie gar nichts, was sie als Decke hätte benutzen können.
    Nyasha schien zu ahnen, was in ihr vorging. Sie hielt einen
Becher mit kaltem Tee in der Hand. »Chipi muss etwas trinken. Das ist sehr wichtig.« Sanft schob sie der Kleinen einen Arm unter die Schultern, hob ihren Kopf und setzte ihr den Becher an die Lippen. Chipis Zähne klirrten am Becherrand. Aber nach nur ein paar Schlucken rollte sie sich in Nyashas Armen in Fötushaltung zusammen und schloss Augen.
    Anita sah es, und Entsetzen packte sie. Starb Chipi hier unter ihren Händen? Mit fahrigen Fingern suchte sie den Puls. Er war sehr schnell, aber er war fühlbar und einigermaßen kräftig. Das musste ein gutes Zeichen sein. Sie atmete auf.
    Nyasha beobachtete sie mit ernsten Augen und schien wieder ihre Gedanken zu lesen. »Es wird vorbeigehen, Ma’am. Chipi wird nicht sterben. Morgen wird sie schwitzen, und dann verschwindet Imfiva … bis es wiederkommt.«
    Anita musste sich damit abfinden. Vermutlich wusste Nyasha, wovon sie redete, obwohl sie wohl erst knapp dreizehn Jahre alt war. Die anderen Mädchen hockten mit dem Rücken an der Wand, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, die weit aufgrissenen Augen starrten ins Leere. Alle waren ziemlich abgemagert und wirkten unendlich traurig und hoffnungslos. Der Anblick schnitt Anita ins Herz. In diesem Augenblick hätte sie Len Pienaar umbringen können. Mit den bloßen Händen. Die Welt, in der die Mädchen lebten, entzog sich ihrer Vorstellungskraft. Eine brutale Welt voller Gewalt und Schmutz. Sie mussten Dinge gesehen und gemacht haben, die kein Kind sehen oder machen sollte. Eine Welt, in der Kindheit kein Wort war, das etwas ganz Wunderbares bezeichnete, etwas, was man sein ganzes Leben lang als eine strahlend sonnige Zeit in Erinnerung behält.
    Sie betrachtete jedes der Mädchen genau, bemühte sich, sich jedes Gesicht einzuprägen. Das hatte ihr von Anfang an große Schwierigkeiten bereitet. Ihrem ungeübten Auge schienen sie irgendwie alle gleich auszusehen. Dunkle Haut, hohe Wangenknochen,
seelenvolle schwarze Augen und geschwungene Lippen, herzförmiges Gesicht. Mit gewisser Scham fiel ihr ein, dass sie außer Nyasha und Chipi keine bei Namen kannte. Das musste sie sofort ändern. Sie ging vor den Kindern in die Knie und legte eine Hand auf ihr Herz.
    Â»Mein Name ist Anita«, sagte sie mit sorgfältiger Aussprache auf Englisch. »Wie heißt du?« Sie zeigte auf ein Mädchen, das Chipi aufs Haar glich.
    Nyasha hockte neben ihr und übersetzte leise, und es stellte sich heraus, dass dieses Mädchen Chipo hieß und Chipis Zwillingsschwester war. Jeweils dreimal ließ sie sich die Namen der Kinder wiederholen, merkte sie sich an der Haartracht oder am Schnitt der Augen, der bei manchen fast asiatisch schräg war. Es machte ihr jedoch große Sorgen, dass die Stimmen der Kleinen so müde klangen, so brüchig, und ihre Mienen eingeschüchtert und bedrückt wirkten. Es war offensichtlich, dass sie jeglichen Widerstand aufgegeben hatten und ohne Gegenwehr ihres ungewissen Schicksals harrten. Die gleiche Verhaltensweise hatte sie bei frisch eingetroffenen Laboraffen festgestellt. Mit geballten Fäusten ertrug sie die Bilder, die ihr durch den Kopf wirbelten, und beschloss, dass es so nicht weitergehen könne. Sie musste die Kinder aufrütteln, sie musste wieder deren Lebensmut wecken.
    Â»Kennt ihr ein schönes Lied?«, fragte sie Nyasha.
    Das Mädchen legte den Kopf schief, zwirbelte an ihren Zöpfchen, und dann leuchtete ihr Gesicht auf. »He!«, rief sie den anderen zu und sang ein paar Worte in ihrer Sprache.
    Und die Mädchen reagierten darauf. Eine nach der anderen stand auf, sang mit und klatschte in die Hände. Der Gesang wurde kräftiger und lauter, sie lachten zum ersten Mal, seit Anita zu

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