Jenseits von Timbuktu
»Wann wirst du hier sein?«
»Bin schon fast da«, hörte sie ihn rufen, ehe die Verbindung unterbrochen wurde.
»Danke«, sagte sie zu Wilson und trat aufs Gas. In halsbrecherischer Fahrt jagte sie über die Buschpiste. Das Auto bockte, schleuderte, flog ein paar Meter und knallte wieder auf den Boden. Wilson hatte beide Beine verkeilt, umklammerte mit der rechten Hand seinen Sitz, und mit der linken hing er im Griff. Er wirkte trotzdem sehr entspannt. Jill betete, dass sich ihr kein Hindernis in den Weg stellte. Sie musste daran denken, dass Nashörner es oft lustig fanden, Autos mit ihrem Horn zu traktieren, und dass Elefanten vor nichts zurückwichen, schon gar nicht vor einem Haufen Blech auf vier Rädern.
Einmal war sie gezwungen, das Steuer herumzureiÃen, um das Chamäleon nicht platt zu fahren, das hinter einer Kurve seinen zeitlupenlangsamen Weg über die Piste angetreten hatte. Sie schaffte es nur, weil der Wagen an dem Erdwall, der den Weg begrenzte, wie von einer Bande abprallte und wieder zurück in die Fahrspur hüpfte. Vorbei an dem grasgrünen Reptil. Selbst Wilson stand der Schweià auf der Stirn, als sie mit quietschenden
Reifen auf Inqabas Parkplatz hielten. Jill hechtete geradezu von ihrem Sitz und rannte durch den Blättertunnel zur Rezeption. Sie sah Tiki sofort.
Mutter und Sohn hatten in den bequemen Sesseln der Rezeption Platz genommen. Tiki saà mit ihrer Tasche auf dem Schoà aufrecht da. In einer Hand hielt sie einen Erdbeer-Milchshake, den sie mit verzückter Miene durch den Strohhalm schlürfte. Naki presste sich verschüchtert in die Polster und schleckte ein groÃes Eis. Beide hatten Jill noch nicht bemerkt.
Jonas kam Jill bereits entgegen. »Das sind die beiden«, sagte er. »Die Hübsche dort im rosa T-Shirt und der kleine Junge.«
Jill sah zu Tiki hinüber. »Was hat sie genau gesagt?«
»Nur dass sie mit Kira gesprochen hat und alles andere nur dir sagen will. Was wirklich dahintersteckt, konnte ich nicht erfahren. Hast du Nils schon erreicht?«
»Er müsste jede Minute hier sein. Aber ich kann einfach nicht länger warten. Ich muss jetzt mit ihr reden, sonst drehe ich durch!« Mit beiden Händen fuhr sie sich durchs Haar, zupfte ihre verschwitzte Bluse zurecht und ging dann hinüber zu Tiki und Naki Magwaza. Nachdem sie beide mit dem traditionellen Dreiergriff begrüÃt hatte, zog sie sich einen Stuhl heran. Sie zwang sich, wenigstens im Ansatz die Höflichkeitsregeln, die für eine Unterhaltung bei den Zulus galten, einzuhalten.
»Sawubona, Tiki, sawubona, Naki. Hat Jonas euch gut behandelt?«
Tiki bejahte das mit einem Nicken und leerte dabei ihren Milchshake mit lauten Geräuschen. Nachdem Jill erfahren hatte, dass die Busfahrt recht angenehm gewesen sei und alle in Tikis Familie wohlauf seien, stellte sie endlich die Frage, die ihr wie Feuer auf der Zunge brannte.
»Tiki, was weiÃt du über meine Tochter?« Dass ihre Stimme leicht schwankte, konnte sie einfach nicht verhindern.
Tiki schaute zur Seite, weil es unhöflich war, einem Höhergestellten
in die Augen zu blicken, und schien erst ihre Gedanken ordnen zu wollen. Jill gab sich äuÃerlich interessiert und ruhig. Innerlich zersprang sie fast vor Angst um Kira. Endlich setzte Tiki das leere Milchshakeglas ab und faltete die Hände im SchoÃ.
»Deine Tochter war bei uns zu Besuch â¦Â«, begann sie. »Sie wurde mit anderen Mädchen gebracht â¦Â« Die junge Zulu stockte und suchte angestrengt nach den richtigen Worten.
Während Jill mit rasendem Puls wartete, zupfte Naki seine Mutter am Rock. Sie beugte sich zu ihm hinunter, und er flüsterte ihr etwas zu. Tikis Lider flatterten. Ihre Augen trafen nur kurz die von Jill, dann schlug die junge Frau sie wieder nieder, wie es sich gehörte.
»Ein Mann brachte sie und die anderen Mädchen ⦠Sie weinten, sie hatten groÃe Angst â¦Â« Jill sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Es gab ein lautes Zischgeräusch, und Tiki sah erschrocken hoch. Aufgeregt wehrte sie ab. »Nein, nein, nicht Ihre Tochter!«, rief sie. »Inqabas Tochter ist mutig wie ein ⦠Löwenjunges.«
Mein Kleines, meine ganz und gar wunderbare Tochter, dachte Jill und schluckte energisch ihre Tränen herunter. Sie lehnte sich vor und nahm Tikis Hände in ihre. »Tiki, hatte dieser Mann vielleicht nur einen
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