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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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durchzogenen Betonboden hinauf zu den Sparren des niedrigen Grasdachs. Aber nichts als Leere gähnte ihm entgegen. Und dichte, drückende Stille. »Nichts«, rief er und trat zurück. Es klang so endgültig wie ein Todesurteil.
    Jill fuhr die Enttäuschung bleischwer in die Seele. Mutlos ließ sie die Schultern nach vorn fallen und überlegte gerade, was ihnen jetzt noch als Möglichkeit übrig blieb, als sich ihr Mann zu ihrer Verwunderung wieder dem Haus zuwandte.
    Nachträglich konnte er nicht erklären, was ihn dazu veranlasst hatte. Ob es daran gelegen hatte, dass er sich grundsätzlich nur auf das verließ, was er tatsächlich bewusst sah, nicht nur auf das, was er meinte, wahrgenommen zu haben, oder ob irgendein Geräusch sein Unterbewusstsein erreicht hatte. Mit einem Tritt stieß er die Tür, die von allein halb zugefallen war, weit auf. Er ging bis zum Ende des Raums und leuchtete in jede Ecke, fand aber nichts und wollte eben resigniert umkehren, als der Lichtkegel auf einen Rücksprung in der Mauer fiel. Zögernd trat er näher. Der Bereich dahinter lag in tiefster Schwärze. Er ging in die Knie  – bei seiner Körpergröße konnte er nur in der Mitte der Hütte stehen  – und leuchtete um die Ecke.
    In der Schwärze schwammen zwei Dutzend glänzender Kaffeebohnen in Sahne. Während er völlig verwirrt zu verstehen suchte, was er da vor sich hatte, flog ihm ein warmes, weiches Bündel in die Arme, dass er fast hintenüberfiel.
    Â»Daddy!«, flüsterte Kira an seinem Ohr. »Ich hab’s allen gesagt, dass du kommst. Dass du groß und stark bist und den Schweinekerl tothaust und uns dann rausholst!«
    Ihre kräftigen Ärmchen schlossen sich so fest um seinen Hals,
dass er Mühe hatte, Luft zu bekommen. Ihm stürzten die Tränen aus den Augen, ein hochemotionaler Kloß verschloss ihm die Kehle, und er bekam keinen Laut heraus. Stattdessen küsste er das verschmutzte Gesichtchen seiner Tochter, streichelte ihr verklebtes Haar, immer wieder, und konnte nicht glauben, dass sie es war. Dass es vorbei war.
    Jill und Dirk hatten nicht mitbekommen, was in dem Haus vor sich ging. Kein Laut drang zu ihnen heraus.
    Â»Ich geh jetzt da rein«, sagte Dirk zu Jill. »Ich halt das nicht mehr aus. Egal, was da auf mich wartet.«
    Â»Ich komme mit«, sagte sie und blinzelte durch ihre nassen Wimpern hinüber zum Eingang, in dem ihr Mann verschwunden war. Noch bevor sie sich in Bewegung gesetzt hatten, flog die Tür auf.
    Jemand kam heraus, aber der silbrige Regenvorhang ließ sie nur verwaschene Silhouetten erkennen. Die von Wilson, der noch immer mit gezogener Pistole auf den Eingang zielte, und die von Nils, der eben aus der Hütte kam. Aber sonst war da niemand. Verzweiflung packte Jill an der Kehle. Mit schleppenden Schritten bahnte sie sich den Weg durch Schlamm und Pfützen hinüber zu ihrem Mann.
    Â»Philani hat angerufen«, rief sie ihm zu. »Er und die anderen halten sich heute so lange bereit, bis wir Kira …«
    Nils’ Silhouette löste sich auf einmal auf. Ein kleinerer Schatten glitt an ihm herunter und flog durch den Regen auf sie zu.
    Später konnte sie genau beschreiben, wie es sich anfühlte, wenn das Herz zwei Schläge aussetzte. Zwei Herzschläge dauerte es, bis sie begriff  – wirklich mit allen Sinnen erfasste  –, wer durch den Wasservorhand auf sie zulief.
    Ihre Tochter. Kira.
    Panga und Scheinwerfer fielen ihr aus den kraftlosen Fingern in den Matsch. Sie ging in die Knie und öffnete die Arme, und die Welt hörte auf, sich zu drehen. Kira drückte das Gesicht in
ihre Halsgrube, und sie atmete den Duft ihrer Tochter ein, der ihr das Süßeste zu sein schien, was es gab, obwohl die Kleine in Wirklichkeit wie ein Abfallhaufen stank.
    Nils Grinsen reichte buchstäblich von Ohr zu Ohr, und er ließ seine Tränen einfach frei laufen. Hinter ihnen erschienen die anderen Mädchen in der Tür, eines nach dem anderen, die Größeren voraus. Sehr langsam und sehr vorsichtig traten sie in den Regen, argwöhnisch die Umgebung mit Augen, Nase und Ohren testend, ehe sie sich ganz herauswagten. Niemand achtete auf Dirk, der mit broßer Unruhe wartete, bis alle Mädchen herausgekommen waren, bevor er selbst hineinging.
    Kira, die Arme noch immer fest um den Hals ihrer Mutter geschlungen, wandte den Kopf.

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