Jenseits von Timbuktu
bevor die Raubkatze ihre Pranke hindurchstecken konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Gitter zuzuschieben, auch wenn ihn das in unmittelbare Reichweite des Tieres brachte.
Lia aber reagierte eiskalt. »Bleib zurück«, sagte sie, zog eine Pistole aus ihrem Gürtel und lud durch. Mit vollkommen ruhiger Hand zielte sie auf das ihr zugewandte Auge des Tieres, das,
von dem metallischen Geräusch aufgeschreckt, zu ihnen herübersah, und schoss. Aus dem Auge spritzte Blut, und das Tier brach wie gefällt zusammen und fiel gegen das Eingangstor.
Alle Fressgeräusche seiner Artgenossen verstummten plötzlich, und der groÃe Mähnenlöwe, der mit genussvoll geschlossenen Augen auf einem Oberschenkelknochen herumgekaut hatte, schreckte auf. Blut tropfte ihm vom Maul, er witterte mit lang gestrecktem Hals. Dirk und Lia erstarrten zu Statuen. Doch der Wind kam von Osten, und weder der Blutgeruch des toten Löwen im Vorraum noch der fremdartige der Menschen erreichte den Pascha. Trotzdem erhob er sich und schlenderte hinüber zu dem Sicherheitstor, das den Hof vom Vorraum trennte. Er betrachtete es eingehend und schnüffelte daran herum. Die beiden Menschen wagten es nicht, auch nur zu blinzeln. Ein Windstoà tanzte über den Hof, fing sich unter den Bambusmatten und wurde von der Hauswand abgefälscht. Der kleiner Wirbel, der dabei entstand, trug dem Löwen ein üppiges Duftbukett zu.
Der Pulvergestank vom Schuss, den erregenden Geruch von frischem Blut und den seines Erzfeindes, des Menschen. Der Löwe legte die Ohren an, und seine gelben Augen nahmen eine eigenartige, furchterregende Starre an.
Dirk schluckte. Aus vielen Erzählungen wusste er, dass das Tier seine Beute ausgemacht hatte und sie in nächster Sekunde anspringen würde. Was hatte er im Visier? War es der Kadaver seines Artgenossen, der nur ein paar Schritte von ihnen entfernt lag? Und zwar vor der Tür, die zu dem Raum führte, in dem sich offenbar Anita aufhielt.
»Anita«, rutschte es ihm heraus, allerdings so leise, dass es ein Mensch sicherlich nicht gehört hätte.
Aber das Gehör eines Löwen war unendlich viel feiner. Der Mähnenlöwe schwang irritiert seinen mächtigen Kopf herum und richtete seinen furchterregenden Bick auf Dirk.
Dirk reagierte automatisch. Er machte einen Schritt nach vorn, griff in die Maschen der Eingangstür und zerrte sie mit aller Kraft ins Schloss. Das Geräusch knallte wie ein Schuss. Er war noch nicht verhallt, als die riesige Raubkatze einen Satz unmittelbar vor den Eingang machte. Sie streckte den Kopf vor, richtete die Ohren nach vorn und fixierte ihn und Cordelia. Die groÃe Katze füllte Dirks ganzes Blickfeld aus. Wie ein Kaninchen im Bann einer Schlange konnte er sich nicht rühren. Auch als er ein merkwürdiges Geräusch hinter sich vernahm, wagte er es nicht, sich umzuwenden. Mit verdrehten Augen versuchte er zu erkennen, was da in seinem Rücken geschah. Dann schob sich der blau glänzende Lauf eines Gewehres neben seiner Schulter vor, und Lias Hand erschien. Sie hielt das Gewehr absolut ruhig. Ihr Finger lag am Abzug. Er hörte sie langsam und gleichmäÃig ein- und ausatmen, wie er das bei Scharfschützen in Kriegsgebieten erlebt hatte, Bruchteile von Sekunden bevor sie schossen.
Lia stellte sich auch als eine hervorragende Gewehrschützin heraus. Trotz des Schocks, den der Anblick ihres toten Sohnes in ihr ausgelöst haben musste, zog sie ganz ruhig durch. Der Schuss saà perfekt. Zwischen den Augen des Löwen erschien ein Loch, seine Hinterläufe knickten weg. Er bäumte sich noch einmal auf und brach dann ohne einen Laut zusammen. Der Boden erzitterte unter seinem Gewicht.
Bevor Dirk reagieren konnte, holte Lia, äuÃerlich vollkommen gefasst, eine ähnliche Fernbedienung aus der Tasche wie die, die ihrem Sohn zuvor das Sicherheitstor zum Hof geöffnet hatte. Sie drückte, und das Tor rastete sicher ein. Die restlichen Löwen waren ausgeschlossen. Die unmittelbare Gefahr war gebannt. Mit einem Sicherheitsschlüssel öffnete sie anschlieÃend das Eingangstor.
Dirk fasste sich schnell. Der Kadaver des weiÃen Löwen drückte in ganzer Breite gegen die Eingangstür. Die GroÃkatze
wog wohl über zwei Zentner, und nur unter Aufbietung all seiner Kräfte schaffte er es, das tote Tier so weit zurückzuschieben, dass er sich durch die Ãffnung
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