Jenseits von Timbuktu
aufhältst, sei lieber übervorsichtig.«
Aber der Mückenschutz schien perfekt zu sein. Jill Rogge führte ein gepflegtes Haus. Sie kehrte zu ihrem summenden Laptop zurück und steckte den Stick in einen der USB-Ports. Zu ihrer Ãberraschung war er nicht verschlüsselt. Auf ihren eigenen Speichersticks hatte sie immer ein Verschlüsselungsprogramm. Sollte sie einen verlieren, wollte sie sicher sein, dass kein Fremder ihre Korrespondenz, privat oder geschäftlich, lesen konnte.
Aber auf dem Stick befanden sich lediglich ein paar Fotos, und das erste zeigte tatsächlich Maurice unter einer dickstämmigen Dattelpalme, das nächste war verschwommen, aber Maurice war darauf zu erkennen. Der Mann neben ihm  â in jeder Dimension fast doppelt so groà wie er  â war ihr auf unerklärliche Weise sehr unangenehm, zumindest schien er fürchterlich hässlich zu sein. Fleischig, immenser Bauch, der rechte Arm muskelbepackt, der linke war oberhalb des Ellbogens amputiert, säulenförmige Beine, obendrauf ein verhältnismäÃig kleiner Kopf. Verspiegelte Sonnenbrille. Beide grinsten in die Kamera. Sie klickte sich weiter durch. Auf den übrigen Bildern waren schwarze Kinder zu sehen, die sich verängstigt aneinanderdrängten, ihre riesigen Augen waren schwarze Pfützen in mageren Gesichtern.
Die Fotos waren durchweg etwas unscharf, manche durch überhängende Zweige aufgenommen, als hätte sich der Fotograf
versteckt. Auf einem der Bilder bemerkte sie einen soliden Schatten hinter den Kindern, gröÃer, viel gröÃer als die Kleinen. Sie schaute genauer hin, konnte aber nicht entscheiden, was sie sah. Ein Mensch war es nicht. Vielleicht ein Felsen? Einer, der die Umrisse eines Löwen hatte. Sie vergröÃerte das Bild, aber es wurde so grobkörnig, dass sich die Konturen des Schattens völlig auflösten. Einzelheiten waren nicht zu unterscheiden. Vorsichtig zog sie die Linien auf dem Bildschirm mit dem Fingernagel nach. Es brachte nichts. Sie zuckte die Achseln. Vermutlich war es ein Busch, der zufällig diese Katzenform hatte.
Mittlerweile konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Sie entfernte den Stick, fuhr den Computer herunter und klappte den Deckel zu.
Morgen würde sie versuchen, Maurice zu erreichen, damit sie ihm den Stick zurückgeben konnte. Nachdem sie sämtliche Telefonbücher, deren sie habhaft werden konnte, nach einer Cordelia Mbali Carvalho durchsucht hatte. Falls die überhaupt noch diesen Nachnamen trug.
Sie ging ins Badezimmer, und kurze Zeit später schlüpfte sie unter den Baldachin des Moskitonetzes, legte sich in dem weichen Kissen zurück und schloss die Augen, vergaà Maurice, die Filmleute und die Büsche, die aussahen wie Löwen.
Innerhalb von Minuten war sie eingeschlafen und trieb in einem dunklen, zähen Strom wirrer Träume davon.
7
D ie Sonne war noch nicht aufgegangen, den Himmel überzog ein erstes zartes Rosa, als Anita von einem ohrenbetäubenden Kreischen geweckt wurde. Sie sprang entsetzt aus dem Bett, rannte mit hämmerndem Puls zur Terrassentür, riss sie auf und sah sich drei riesigen Vögeln gegenüber, die flügelschlagend und aus vollem Halse schreiend auf der Brüstung hockten und sie aus glänzend schwarzen Augen spöttisch anglotzten. Als sie aufgebracht auf die Tiere zustürzte, strichen diese mit lautem Gelächter in den pfirsichfarbenen Himmel davon.
Sie fiel auf einen der Rattansessel, legte den Kopf an die Lehne und lieà beide Arme herabhängen. Sie fühlte sich wie gerädert. Ihre Augen waren trocken, die Kehle rau, und die Beule am Kopf leuchtete nicht nur wie ein rotvioletter Hügel, sondern irgendjemand schien sie mit Messern zu bearbeiten. Stöhnend schleppte sie sich zurück ins Zimmer und sah auf ihre Armbanduhr, die auf ihrem Nachttisch lag. Es war noch nicht einmal halb fünf. Eindeutig nicht ihre bevorzugte Zeit zum Aufstehen. Sie warf sich aufs Bett und schloss die Augen. Kaum hatte sie sich entspannt, klopfte jemand vernehmlich an die Tür, und als sie nicht schnell genug öffnete, wurde dagegen getrommelt. Sie presste beide Hände über die Ohren und vergrub den Kopf im Kissen  â es half nichts.
»Die sind wohl wahnsinnig geworden«, murrte sie wütend, stand auf und tappte ins Wohnzimmer. »Was wollen Sie?«, raunzte sie durch die geschlossene Tür. »Es
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