Jenseits von Uedem
schlenderten sie um das Geviert herum, auf der Suche nach einem Restaurant. Es sah nicht gut aus: das Bistro war wenig einladend, in der Pizzeria gab es, wie sie mit einem Blick durch die staubige Scheibe feststellten, keinen Tisch, an dem man gemütlich hätte sitzen können, die Kneipe hatte geschlossen, aber nach Gr. Bockwurst m. Brot und Strammer Max (2 Eier) stand ihnen sowieso nicht der Sinn. Blieb einzig das Café. Van Appeldorn machte das gar nichts aus, er liebte Kuchen zu jeder Tageszeit, aber Toppe maulte: »Komm, laß uns da hinter der Ecke weitersuchen. Ich will lieber was Geherztes.«
»Nimmst du eben ein Wurstbrötchen!« hielt ihm van Appeldorn die Tür auf und machte sich auf die Suche nach einem ruhigen Tisch.
Toppe registrierte mit Schaudern die Stilbrüche in der Einrichtung. Auf jedem Tisch prangte ein großes Nichtraucherschild.
»So was muß ich nicht haben«, moserte er unterdrückt. »Laß uns wieder gehen.« Aber van Appeldorn hörte ihn gar nicht. Ganz hinten gab es vier Tische mit Aschenbechern.
»Typisch«, sagte Toppe. »Direkt am Klo, Fenster zum Hinterhof. Ich fühl' mich diskriminiert. Es kommt noch so weit, daß wir alte Omas überfallen müssen und Handtaschen klauen. Kleiner Bruch im Tabakladen wär' auch nicht schlecht. Von wegen Beschaffungskriminalität. Wenn wir das lange genug machen, kriegen wir demnächst die Zigaretten auf Rezept.«
23
Stanislaus Siegelkötter stand sprachlos in seinem makellosen Zweireiher, den Diplomatenkoffer in der Hand, und versuchte zu begreifen, was er da sah.
Heinrichs unterbrach sich mitten im Satz, van Appeldorn und Astrid lehnten sich erwartungsvoll zurück.
»Guten Morgen, Herr Siegelkötter«, stand Toppe auf und streckte seinem Chef die Hand hin. Der war so durcheinander, daß er den Gruß erwiderte und sich von Toppe mit auf den Flur nehmen ließ.
»Wenn ich Ihnen mal kurz zeigen darf, was schiefgelaufen ist.«
Toppe öffnete die Tür zu ihrem Büro und ließ Stasi den Vortritt. Der Wind pfiff ihm entgegen, eine der Bauplanen hatte sich losgerissen; von Handwerkern noch keine Spur.
Langsam fing Siegelkötter sich wieder. »Das ist ja unglaublich«, murmelte er zuerst, aber dann brüllte er in bekannter Manier: Er habe es nicht nötig, sich von seinen Mitarbeitern auf der Nase herumtanzen zu lassen; sein Büro, doch quasi seine Intimsphäre! Unfaßbar! Toppe nickte zu allem und ließ ihn kollern, bis ihm nichts mehr einfiel.
»Wir haben leider keine andere Möglichkeit gesehen«, meinte er bedauernd.
»Da gibt es auch noch das Vernehmungszimmer, bester Herr Toppe!«
Toppe runzelte die Brauen. »Zu viert? Mitten in einem Mordfall?« fragte er nur.
Stasi rieb sich den Nacken.
»Wir sind im Fall te Laak übrigens ein ganzes Stück weitergekommen und konnten auch die Ermittlungen in einem anderen Fall abschließen«, begann Toppe und ging dabei langsam den Gang hinunter. Aber Siegelkötter blieb stehen und starrte ins Leere.
»Später«, sagte er dann knapp. »Arbeiten Sie weiter. Ich bemühe mich um eine Lösung.«
»Und?« fragte van Appeldorn gespannt, als Toppe zurückkam.
»Arbeiten Sie weiter, bester van Appeldorn!« knarrte Toppe.
»Der Boß persönlich bemüht sich um eine Lösung.«
»Klasse!« kicherte Astrid.
Heinrichs nahm seinen Faden von vorhin wieder auf. »Larissa Heidingsfeld; Todesursache laut Grootens: Herzinfarkt. Sie war 69 Jahre alt und gesund. Im Krankenblatt sind normale Wehwehchen vermerkt: Grippe, Bronchitis, usw. Nach Kösters Aufzeichnungen war die Dame topfit und überall mit der Nase dabei. Ihr Ableben kommentiert er wie folgt: >plötzlich und unerwartet liegt sie morgens tot im Bett, überraschend (s. u. gesundheitl. Konstitution), jedoch keinesfalls erschütternde«
Heinrichs konnte sich immer noch an den Bemerkungen des alten Misanthropen ergötzen, aber er kam schnell wieder zur Sache: »Mit der Heidingsfeld habe ich angefangen, dann habe ich mir systematisch all jene vorgenommen, die in den letzten Jahren verstorben sind und keine Verwandten hatten.«
Er blätterte weiter. »Als erster wäre da Karl Menge, gestorben vor fast genau drei Jahren. Er war 91 Jahre alt, Maschinenbauingenieur, kinderlos, verwitwet. Litt an Diabetes mellitus, also Zuckerkrankheit, und an Rheuma. Laut Köster war er ein Mann mit >bewundemswert klaren Prinzipien< äußerst rüstig wohl für sein Alter. >Wahrscheinlich bei der Waffen-SS< steht hier auch noch. Im Krankenblatt häufen sich die Eintragungen in den
Weitere Kostenlose Bücher