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Jenseits

Jenseits

Titel: Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Cabot
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hingekriegt?« oder auch: »Wer zum Teufel ist Pierce Oliviera?«
    Diese Kommentare schafften es sogar, bis in meinen gläsernen Sarg durchzudringen, und ich bekam ein ungutes Gefühl. Nicht nur, weil sie alte Geister heraufbeschworen – in letzter Zeit war es mir doch tatsächlich gelungen, Vorladungen bei der Erziehungsberatungsstelle zu vermeiden –, sondern auch weil Mr. Mueller mich ein oder zwei Tage später vor versammelter Klasse fragte, ob ich nicht Nachhilfestunden bei ihm nehmen wollte. Und von da an ging es bergab.
    »Mr. Mueller hat Pierce Oliviera gerade privat Nachhilfe angeboten! Hat die ein Glück! Er ist ja SO süß!!!«
    »Ich versteh das nicht«, sagte Mom. »In der Sprechstunde sagte Mr. Mueller, er hätte dir Nachhilfestunden angeboten, weil du in so vielen Kursen so weit hinterher bist, und du hast abgelehnt. Warum, Schatz?«
    »Ich habe schon genug Nachhilfelehrer«, erwiderte ich. Dad hatte sie engagiert, für nahezu jedes meiner Fächer. Geholfen hat es aber nichts, denn das tut es nur, wenn man in den Nachhilfestunden auch aufpasst.
    »Aber Mr. Mueller ist doch so nett«, meinte Mom nur.
    Ich hätte etwas sagen sollen, damals schon. »Mom«, hätte ich sagen sollen, »Mr. Mueller ist nicht nett.« Das Problem war nur, sie hätte mir nicht geglaubt. Ich fand den Typen zwar gruselig, aber das bewies noch gar nichts. Und Mom war nicht die Einzige, die Mr. Mueller für ein Geschenk des Himmels hielt. Alle Mütter gaben ihren Töchtern Schächtelchen und Blechdosen voll selbstgebackener Kekse für Mr. Mueller mit, um ihm ihre ganz besondere Wertschätzung zu zeigen, und das, obwohl die Basketballsaison längst vorbei war.
    Mr. Mueller strahlte jedes Mal vor Freude, wenn er eine dieser Gaben auf seinem Pult fand, dann schimpfte er, während ihm die Verzückung nur so ins Gesicht geschrieben stand: »Mädels, jetzt übertreibt ihr aber!«
    Bis eines Tages meine ehemals beste Freundin Hannah Chang – die sich während des Sommers, in dem wir kein Wort miteinander gesprochen hatten, wirklich prächtig entwickelt hatte und sowohl der Star unseres Basketballteams als auch eine der eifrigsten Besucherinnen von Mr. Muellers privaten Nachhilfestunden geworden war – einen Brief auf Mr. Muellers Pult hinterließ, bei dessen Lektüre sich seine Stirn in deutlich sichtbare Falten legte.
    Ich weiß, dass der Brief von Hannah war. Sie war in der Freistunde am Pult vor mir gesessen, und ich hatte sie beim Schreiben beobachtet und dabei, wie sie ihn anschließend aufs Pult legte. Ich hatte sogar gesehen, wie Mr. Mueller ihn öffnete.
    Und dieses Mal hatte er nicht vor Freude gestrahlt.
    Aber ich achtete nicht groß darauf. Hannah legte Mr. Mueller ständig Briefchen auf sein Pult. Immer fein säuberlich zusammengefaltet und mit kleinen Herz-Stickern beklebt.
    An meinem Geburtstag hatte sie sogar mir einen geschrieben, auf einem sehr schönen Briefpapier mit Pferden darauf. Ich fand ihn, als ich mich an mein Pult setzte. »Alles Gute zum Geburtstag, Pierce!«, hatte sie in ihrer großen geschwungenen Handschrift geschrieben und daneben hüpfende Muffins mit brennenden Kerzchen gemalt. »Ich wünsch dir einen tollen Tag! In Liebe, Hannah.«
    Ich hatte mich zwar nahezu restlos von der Welt zurückgezogen (»Wozu das alles?«, war mein Lebensmotto, »wir sterben doch sowieso alle und dürfen dann noch nicht mal auf die Fähre«), aber ich war doch ein wenig gerührt. Selbst wenn Hannah sich nicht so um ihr Pferd kümmerte, wie ich fand, dass sie es hätte tun sollen – zumindest ihre Mitmenschen lagen ihr sehr am Herzen, und deshalb gab es sicher viele, denen auch sie am Herzen lag.
    Hatte ich so was Ähnliches nicht schon mal irgendwo gehört?
    Jedenfalls, Hannah hatte mich zwar erst im letzten Schuljahr als verrückt beschimpft, aber ich mochte sie immer noch. Und deshalb werde ich mir auch immer vorwerfen, was mit ihr passiert ist.
    Nach dem Tag, an dem ich Hannah dabei beobachtet hatte, wie sie das Briefchen auf Mr. Muellers Pult legte, saß ich mit Mom beim Frühstück. Sie las gerade die Zeitung, da entfuhr ihr plötzlich ein Schrei, und sie hielt sich eine Hand über den Mund.
    »Mom?« Ich schaute sie verunsichert über den Rand meiner dampfenden Tasse Kräutertee hinweg an. Der Nervenarzt hatte mich ermahnt, wegen meiner Schlafstörungen und Albträume lieber die Finger von Koffein zu lassen, und Mom hatte gewitzelt, wenn Dad die Finger von Koffein ließe, würde die Welt über Nacht um einiges

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