Jenseits
wette, das wusstest du nicht, oder? Aber es stimmt.«
Ich starrte Onkel Chris an. Er hatte recht. Davon hatte ich nichts gewusst.
»Und als ich hörte, was mit dir passiert ist und dass du seitdem in Schwierigkeiten steckst, sagte ich zu deiner Mom, dass sie sich um dich keine Sorgen zu machen braucht.« Er lächelte mich an, genauso freundlich wie immer. »›Die kommt wieder in Ordnung‹, habe ich zu deiner Mom gesagt. ›Man sieht es in ihren Augen.‹ Aber Alex? Da bin ich mir nicht so sicher. Traurig, wenn man so etwas über seinen eigenen Sohn sagen muss, aber …« Er zuckte die Achseln. »Um ihn mache ich mir Sorgen.«
Ich wusste genau, was er meinte, denn auch ich machte mir Sorgen um Alex.
»Es hat auch nichts damit zu tun, dass du ein Mädchen bist. Oder Debs Tochter.« Er schüttelte den Kopf. »Deb war immer ganz anders als du.«
»Ich weiß«, erwiderte ich und versuchte, die Bitterkeit aus meiner Stimme herauszuhalten.
Pass auf dich auf, sonst gehst du drauf .
»Die ganzen Pokale, die sie gewonnen hat, stehen immer noch in der Schule. Die Pokale, die ihr beide gewonnen habt. In der Vitrine im A-Flügel.«
Onkel Chris sah verwirrt aus. »Welcher A-Flügel?«
»Das ist … ach, egal.« Anscheinend sprachen er und Alex nicht allzu viel miteinander. »Sie haben die ganze Schule umgebaut, seit du … weggegangen bist.«
»Es hat sich einiges verändert, seit ich weg war«, bestätigte er. »Aber das meine ich gar nicht. Deb ist einfach … ihr fällt alles so leicht. Diese Pokale zu gewinnen zum Beispiel. Jeder wusste, dass sie eines Tages dieses gottvergessene Eiland verlassen würde. Von mir hat das keiner geglaubt. Außer auf die Art und Weise, wie es dann ja auch passiert ist.« Er lachte kurz. »Schätze, das zeigt vor allem, dass die Auszeichnungen, die man auf der Highschool gewinnt, nicht unbedingt viel zu bedeuten haben. Und deshalb …« Er ließ seinen Blick in die Ferne schweifen und betrachtete den rosafarbenen Sonnenuntergang. »Lass nicht zu, dass jemand dir einredet, du wärst für irgendetwas zu dumm. Ich sage nicht, dass dir die Dinge genauso leicht fallen werden wie deiner Mom. Kann sein, dass du härter für deine Ziele arbeiten musst als andere, und ich weiß, das ist nicht fair. Aber das heißt noch lange nicht, dass du einfach aufgeben sollst. Denn wenn du das tust, wo wirst du dann enden?« Er schaute mich wieder an und zuckte die Achseln.
»Hmm?«, meinte ich. »Auf einem Fahrrad vielleicht?«
»Yepp«, sagte Onkel Chris. »Auf einem Fahrrad.«
Doch ich war ziemlich sicher, die korrekte Antwort hätte gelautet: »Im Haus einer alten Lady, der der einzige Strickwarenladen auf der Insel gehört, nachdem du vorher sechzehn Jahre im Gefängnis gesessen bist.« Langsam begann ich zu begreifen, was Dad gemeint hatte, als er sagte, Onkel Chris würde an finsteren Racheplänen arbeiten, sobald er aus dem Gefängnis raus war. Stille Wasser sind tief, und in Onkel Chris’ Kopf ging viel mehr vor, als ich gedacht hatte.
»Deine Mom hat mir aufgetragen, dir zu sagen, dass sie etwas später kommt. Sie musste nochmal ins Büro zu einem Meeting«, sprach er weiter.
»Ach, das macht nichts. Ich muss auch zu einem Meeting …«
»Dann ist ja alles gut«, erwiderte Onkel Chris. »Ich werde inzwischen die Gartenmöbel wegräumen. Außer, ich kann dich vielleicht irgendwo hinfahren.«
»Nein, nein. Schon gut, danke.« Ich schob mein Rad zum Eingangstor, doch als ich seinen niedergeschlagenen Gesichtsausdruck sah, fügte ich noch hinzu: »Aber vielleicht kannst du mir ja morgen meine erste Fahrstunde geben.«
Als ich sah, wie Onkel Chris zu strahlen begann, wusste ich, dass ich zumindest diesmal genau das Richtige getan hatte.
»Großartig. Es ist jedes Mal einfach toll, dich zu sehen, Piercy.«
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, wie sich der Rest des Abends entwickeln würde, hätte ich ihn vielleicht nicht nur angelächelt, um dann einfach so auf meinem Cruiser davonzuradeln. Ich hätte das Treffen mit dem Friedhofsaufseher abgesagt und wäre die ganze Nacht lang an Onkel Chris’ Seite geblieben, um dafür zu sorgen, dass das Böse ihn nicht erwischte. Das war schließlich mein neues Hobby.
Aber ich ahnte noch nicht, wie sehr dieser Kegel, von dem Onkel Chris gesprochen hatte, bereits geschrumpft war, um sich voll und ganz auf Isla Huesos zu konzentrieren.
»Mein Sohn«, sprach mild der Meister, »die erbleichen
In Gottes Zorne, werden alle hier
Am Strand vereint aus
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