Jenseits
zum Opfer, der plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte. Über fünftausend Menschen ertranken, und jedes Schiff und jedes Gebäude auf der Insel wurde zerstört, darunter auch das Krankenhaus, sodass die Verletzten nicht behandelt werden konnten, und der Leuchtturm, sodass es auch unmöglich war, Hilfe zu holen. Außerdem«, fügte er hinzu, »spülte der Sturm alle hier auf dem Friedhof beerdigten Särge hinaus aufs Meer. Und so gab es nicht einmal einen Ort, um die Toten zu beerdigen.« Er schüttelte den Kopf. »Muss ein hübsches Chaos gewesen sein, und dann kamen noch Moskitos und die Cholera …«
An dieser Stelle schnappte ich, glaube ich, nach Luft, was der Friedhofsaufseher als einen skeptischen Seufzer misszuverstehen schien, denn er beeilte sich, mir zu versichern: »Oh, doch doch, und das ist auch der Grund, warum die Särge jetzt in Mausoleen beigesetzt werden müssen. Natürlich hätte man es auch damals schon besser wissen können, wenn man bedenkt, was die Spanier hier vorfanden, als sie dreihundert Jahre zuvor das erste Mal den Fuß auf diese Insel setzten, aber« – er zuckte theatralisch die Achseln – »manche Menschen verschließen nun mal gerne die Augen vor den historischen Tatsachen.«
Ich fühlte mich nicht mehr, als würde ich gleich ohnmächtig werden, und mir war auch nicht mehr kalt. Ich fühlte nur noch … nichts.
»Interessant an diesem Hurrikan ist auch«, sprach Mr. Smith weiter, »dass er einer der schlimmsten in der gesamten überlieferten Geschichte von Isla Huesos war. Jemand, der zum Aberglauben neigt, was ich nicht tue, könnte sogar meinen, irgendjemand wollte nicht, dass dieser Diamant – und das ›schlechte Karma‹, das ihm anhaftet, wie mein Lebenspartner sagen würde – je dieses Schiff verlässt. Denn das tat er auch nicht. Wussten Sie das? Er sank zusammen mit dem Rest der Ladung auf den Grund der Bucht und ward nie wieder gesehen. Und das, obwohl der Schiffseigner eigens eine Bergungsfirma beauftragte, um ihn zu finden. Monatelang suchten sie danach, Jahre sogar, in Gewässern, die gerade einmal drei Meter tief sind, und entdeckten nicht die geringste Spur. Haben Sie ihn so bekommen?« Wieder schaute er mich über den Rand seiner Brille an, und sein Blick verengte sich dabei. »Von dem Mitarbeiter einer Bergungsfirma? Denn heutzutage gilt so etwas nicht mehr als ›Bergung‹, Miss Oliviera, auch nicht als erfolgreiche Schatzsuche oder wie auch immer der großzügige Schenker es genannt haben mag. Nach heutigem Recht ist das ›illegales Plündern einer Unterwasser-Ausgrabungsstätte und Zerstörung eines geschützten Meeresbiotops‹, was unter Strafe steht. Genauso wie die Entweihung einer Grabstätte.«
Ich schüttelte entsetzt den Kopf. Wovon zum Teufel redete er?
»Nein«, sagte ich, und mein Herz begann lauter zu schlagen, als der Donner draußen hallte. »Nein, überhaupt nicht. Es war nicht, wie Sie …«
Ich musste sofort an ihn denken, als ich dich unten am Strand sah , hatte John gesagt, als er mir die Halskette gab. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass du tatsächlich du bist und dann auch noch mit mir kommen würdest .
War er so an den Stein gekommen? Indem er diesen furchtbaren Sturm verursachte, dem so viele Menschen und Schiffe zum Opfer gefallen waren, um dann die Habseligkeiten der Ertrunkenen vom Meeresboden aufzusammeln? Das war schlichtweg nicht möglich.
Andererseits … nichts von alldem, was ich ihn hatte tun sehen, schien wirklich möglich.
»Wer auch immer Ihnen das gegeben hat«, erklärte Mr. Smith weiter, während er die Halskette ans Licht hielt, um sie genauer zu betrachten, »hat ihn seit Marie Antoinettes Zeiten neu einfassen lassen. Und das auf eine, um es neutral auszudrücken, durchaus ungewöhnliche Art und Weise.«
»Ich sagte Ihnen doch schon«, unterbrach ich ihn, »ich habe …«
»Ach ja, ich erinnere mich«, meinte er und schaute zur Decke. »Sie wissen nicht das Geringste über diesen Stein. Nun, dann lassen Sie mich Ihnen sagen, diese neue Fassung ist äußerst bemerkenswert. Sehen Sie, wie jede Krappe in einem kleinen Schnörkel ausläuft? Sehr schön. Und sehr ungewöhnlich. Was würden Sie meinen, wofür diese fünf Krappen stehen?« Er wartete nicht einmal auf meine Antwort. »Flüsse«, sagte er. »Fünf an der Zahl. Und nun, liebe Miss Oliviera, welche Orte kennen Sie, die sich durch fünf Flüsse auszeichnen? Zögern Sie nicht, raten Sie einfach.«
»Keine Ahnung. Ich bin ziemlich schlecht in
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