Jeremy X
»Andererseits halte ich Jessica Stein auch nicht für eine ehrliche Politikerin.«
»Sie meinen, sie wird vielleicht nicht demjenigen die Treue halten, der sie gekauft hat?«
»Ich meine, diese Frau ist eine Polit-Hure«, gab Rozsak unverblümt zurück. »Irgendwie wird sie schon dem Meistbietenden die Treue halten, aber sie wird keinerlei Grund haben, sich nicht ständig nach neuen Mitbewerbern umzuschauen, Oravil. Ich glaube einfach nicht, dass wir im Augenblick auch nur mutmaßen können, wie vielen verschiedenen Herren sie tatsächlich dienen wird, wenn es so weit ist, dass wir ... na, sagen wir, gewisse Gefallen einfordern.«
»Ja, aber da kommen nun die ganzen Beweismittel ins Spiel, die Ingemar so sorgfältig aufbewahrt hat«, gab Barregos mit einem schmalen Lächeln zurück. »Auf Chip gespeichert zu haben, wie sie den Mord an ihrem eigenen Vater plant, gibt uns eine schöne Bandbreite von Zuckerbrot bis Peitsche. Und wenn man ganz ehrlich ist, brauchen wir doch gar nicht so viel von ihr. Nur den Segen der Association für unsere PR-Kampagne, wenn die Ereignisse hier draußen uns ›zum Handeln zwingen‹.«
»Dem kann ich nicht widersprechen, aber die Wahrheit ist doch, Luiz«, wieder lächelte Barregos den Konteradmiral an, dieses Mal mit untypischer Wärme im Blick, »dass Sie, so gut sie auch bei solchen Schattenoperationen sind, im Grunde ihres Herzen dieses Spiel überhaupt nicht mögen.«
»Wie bitte?«
Barregos stellte fest, dass Rozsaks verletzter Blick fast perfekt war, und lachte leise in sich hinein.
»Ich habe gesagt, Sie spielen sehr geschickt, Luiz. Tatsächlich glaube ich sogar, dass Sie besser sind als fast jeder andere, den ich jemals erlebt habe. Aber Sie und ich, wir kennen doch beide den wahren Grund, warum dem so ist. Und auch« - ruhig blickte der Gouverneur Rozsak in die Augen, und sein eigener Blick war auf einmal deutlich weniger trüb als sonst - »warum Sie sich dazu überhaupt bereiterklärt haben.«
Einen oder zwei Augenblicke lang herrschte völlige Stille in dem Büro. Dann räusperte sich Rozsak.
»Na, wie dem auch sei«, sagte er deutlich forscher, »und welche möglicherweise problematischen Vorteile wir zu irgendeinem theoretischen Zeitpunkt in der Zukunft Ms. Stein auch werden abringen können, ich muss zugeben, dass diese ganze Begräbnis-Scharade auf Erewhon und die nachfolgenden Ereignisse auf Torch uns in eine Lage versetzt haben, die sich deutlich besser darstellt, als ich das im Vorfeld je prognostiziert hätte.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Hatten Sie nicht in Ihrem letzten Bericht eine Besprechung mit Imbesi und Al Carlucci erwähnt?«
Wieder hob Barregos die Augenbrauen, und Rozsak nickte.
»Tatsächlich bestand Imbesis Haupt-Beitrag darin, Carlucci unmissverständlich zu verdeutlichen, dass unsere Gespräche seinen Segen hatten - und dass Fuentes, Havlicek und Hall ebenfalls dazugehören.«
Nun war es an Barregos zu nicken. Die Regierung der Republik Erewhon war ein wenig anders als alle anderen. Vielleicht weil sämtliche Bewohner des gesamten Systems unmittelbare Nachfahren verschiedener Familien von Alterde waren, die allesamt dem ›organisierten Verbrechen‹ zugeordnet wurden. Offiziell wurde die Republik derzeit von einem Triumvirat regiert: Jack Fuentes, Alessandra Havlicek und Thomas Hall. Aber in die Regierungsgeschäfte waren immer noch weitere Personen involviert - mit unterschiedlichem Einfluss. Zu diesen ›weiteren Personen‹ gehörte auch Walter Imbesi - er hatte die Aufgabe übernommen, das Vordringen der Mesaner in den Machtbereich von Erewhon zu neutralisieren. Dass er sich entschieden hatte, mit Victor Cachat zusammenzuarbeiten - und übrigens auch mit Luiz Rozsak -, hatte dazu geführt, dass Mesa des interplanetaren Machtgefüges verwiesen wurde, das früher einmal ›Verdant Vista‹ geheißen hatte. Nun hieß es ›das Torch-System‹.
Zugleich hatten diese Ereignisse auch dazu geführt, dass im Grunde das Bündnis Erewhons mit dem Sternenkönigreich von Manticore endgültig zerbrochen war. Barregos wusste genau, dass dies nur möglich geworden war, weil die Regierung unter High Ridge Erewhon und die Interessen sämtlicher Einwohner dieser Welt systematisch ignoriert, erzürnt und - nach Imbesis Ansicht - von Grund auf verraten hatte.
Wie auch immer Imbesis Motivationen ausgesehen haben mochten, er hatte auf jeden Fall dafür gesorgt, dass seine Familie erneut die höchsten Machtpositionen in Erewhon erreicht hatte.
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