Jerry Cotton - 0508 - Die Bombe tickt
mußte nur alles schief gehen?« fragte sie nachdenklich.
»Die Hauptschuld liegt bei dir«, sagte Derrington. »Du hättest Rex nicht im Hotel anrufen dürfen und…«
Das Knallen mehrerer Schüsse schnitt ihm die Rede ab.
Vivian zuckte zusammen. Das tödliche Stakkato lähmte sie. Sie hatte weder die Kraft noch den Mut, sich umzuwenden. Vivian zitterte. Sie schloß die Augen, nur eine Sekunde lang. Der Nachhall der Schüsse durchbebte ihr Bewußtsein mit Entsetzen und Furcht. Fast rechnete sie damit, daß es noch einmal knallen würde.
Aber nichts geschah. Aus der Diele ertönten leise, tappende Schritte. Dann fiel die Wohnungstür mit einem kaum wahrnehmbaren Klappen ins Schloß.
Vivian wandte sich um.
Sie stieß einen Schrei aus, als sie Derrington sah. Er stand gekrümmt, beide Hände in die Brust verkrallt. Er schwankte. Sein Mund und seine Augen waren weit geöffnet. Ihr Geliebter gab keinen Laut von sich. Er kämpfte gegen den Schmerz und das aufkommende Schwindelgefühl. Es war ein Kampf, in dem er keine Gewinnchancen hatte.
Er brach zusammen. Aus der Art, wie sein Körper schwer auf den Boden schlug, war zu sehen, daß er bereits jede Kontrolle über sich verloren hatte.
»Ralph!« wimmerte die Frau. »Mein Ralph!«
Derrington gab keine Antwort mehr.
»Ralph!« schrie Vivian. »So sag doch etwas! Ralph!« Sie gab sich einen Ruck. Sie eilte zu ihm und kniete neben ihm nieder. Sie wollte ihn berühren, aber eine seltsame Scheu hielt sie davon zurück. Sie begriff, daß er tot war. Erschossen!
Vivian erhob sich. Sie war wie betäubt. Taumelnd lehnte sie sich gegen die Wand. Wer hatte Derrington getötet, und warum? Sie brauchte eine Stärkung. Im Wohnzimmer goß sie sich ein Glas Brandy ein. Sie leerte es in einem Zug. Ihr Herz hämmerte wild. Ob man die Schüsse im Haus gehört hatte? Vielleicht war sogar schon die Polizei alarmiert!
Plötzlich packte sie eine panische Angst. Ich muß weg von hier, schoß es Vivian durch den Kopf. Sie hastete durch die Diele. Die Wohnungstür, dachte sie plötzlich. Ich wollte Ralph ganz leise überraschen. Ich bin schuld an seinem Tod. Ich habe die Wohnungstür offengelassen!
Dann fiel ihr das Glas ein. Sie durfte keine Spuren und keine Fingerabdrücke zurücklassen! Sie ging ins Wohnzimmer und trug den Kognakschwenker in die Küche. Dort spülte sie ihn gründlich aus. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Sie war nicht sehr oft in dieser Wohnung gewesen, aber doch häufig genug, um dieses oder jenes berührt zu haben. Sie war viel zu erregt, um sich an jeden einzelnen Gegenstand erinnern zu können. Ganz gleich: Sie mußte weg von hier, so schnell wie möglich!
Sie lauschte in der Diele. Im Haus schien alles still. Vivian öffnete vorsichtig die Wohnungstür. Sie huschte hinaus. Später hätte sie nicht mehr sagen können, wie sie auf die Straße gekommen war. Plötzlich überfiel sie tiefe Mutlosigkeit. Sie hatte gerade noch genug Geld in der Tasche, um mit einem Taxi nach Hause zu fahren.
***
Staunend stand ich vor dem Haus, in dem Derrington wohnte. Es war nur vier Stockwerke hoch, aber die hatten es in sich. Die Größe der Fenster und Balkone, der knallgrüne Baldachin vor dem Hauseingang und die mit Marmor verkleidete Hausfassade verrieten, daß hier nur Platz für Leute mit einem dicken Jahreseinkommen war.
Durch eine Drehtür aus Kristallglas gelangte ich in die kühle Halle. Der Lift brachte mich nach oben. Ich klingelte. Derrington wohnte in der dritten Etage. Nichts rührte sich. Ich klingelte wieder , und fragte mich, weshalb die Tür nur angelehnt war. Nach dem dritten Versuch drückte ich die Tür mit der Fußspitze auf. »Hallo?« rief ich.
Ich zögerte. Ich war nicht befugt, Derringtons Wohnung zu betreten. Aber irgendein Instinkt sagte mir, daß hier etwas nicht stimmte. Schritt für Schritt ging ich in das luxuriöse Apartment hinein.
Ich sah Derrington auf dem Teppich liegen. In der Luft hing ein Geruch von schwerem Parfüm. Für einen Herrn war es viel zu süß! Ich ging ins Wohnzimmer und wählte die Nummer der zuständigen Mordkommission. Ich hatte Glück. Lieutenant Richmond war gerade zurückgekommen. Ich berichtete ihm, wo ich mich befand und wen ich gefunden hatte.
»In zwanzig Minuten bin ich bei Ihnen«, sagte er. Ich schaute mich in der Wohnung um. Im Küchenausguß entdeckte ich einen Kognakschwenker, an dem noch Wassertropfen hingen. Ich hielt ihn gegen das Licht und bemerkte an seinem Rand schwache
Weitere Kostenlose Bücher