Jerry Cotton - 0508 - Die Bombe tickt
Verließ war ich auch ohne Fesseln sein Gefangener.
Ich kam auf die schmerzenden Beine. Dann tastete ich die feuchten Kellerwände ab. Sie mußten so dick wie Festungsmauern sein. Ich rüttelte an der Eisentür. Sie hing ziemlich lose in ihren Angeln. Diesen Umstand mußte ich mir zunutze machen. Mit einem plötzlichen Ruck hob ich die Tür hoch, so daß sie von einem der Angelzapfen rutschte. Ich half etwas nach und schaffte es, daß sie auch von dem zweiten Zapfen glitt. Jetzt wurde sie nur noch von der Verriegelung gehalten.
Mit voller Wucht warf ich mich gegen die Eisenplatte. Beim dritten Versuch ging ich mitsamt der Tür zu Boden. Das donnernde Krachen, das bei der Bruchlandung entstand, hallte durch das Gewölbe.
Ich nahm mir keine Zeit, den Keller zu untersuchen, sondern tastete mich zur Treppe vor. Sekunden später stand ich im Hausflur. Mein Fuß trat auf etwas Weiches. Es war der Hut des Gangsters, den er bei dem Handgemenge verloren hatte. Vielleicht konnte er mich auf eine Spur führen. Ich hob ihn auf, rollte ihn zusammen und steckte ihn in die Brusttasche meines Jacketts.
Ich griff in die rechte Hosentasche, aber mein Schlüsselbund war weg. Vielleicht lag auch er am Boden. Während ich mich bückte, dachte ich an den Grund meines Hierseins, an Rita Felloni.
Im selben Augenblick war ich auch schon auf der Treppe. Mir war plötzlich ein Zusammenhang zwischen dem Mädchen und dem Überfall klargeworden. Jemand wollte verhindern, daß ich mit der Felloni sprach!
Keuchend erreichte ich den höchsten Treppenabsatz. Bevor ich mich noch orientieren konnte, hinter welcher Tür die Wohnung der jungen Sängerin lag, gellte ein Entsetzensschrei durch die Stille.
Rita Felloni schrie um ihr Leben.
Die Gegenwehr des Mädchens kam ganz plötzlich. Derrington hatte sie nicht erwartet. Die Todesangst verlieh Rita Felloni ungeahnte Kräfte. Sie trat mit dem Fuß gegen Derringtons Schienbein.
Der Gangster zuckte zusammen. Schmerz und Überraschung lösten eine kurze Schockwirkung aus. Sein Griff lockerte sich.
Rita riß sich los. Ich muß Derrington einschließen, dachte sie. Wenn ich das schaffe, bin ich gerettet!
Aber der Gangster war auf der Schwelle, noch ehe es Rita Felloni gelang, die Tür hinter sich zuzuschlagen. Das Girl hastete quer durch das Zimmer auf die Wohnungstür zu. Sie stolperte über den Teppich und fiel zu Boden.
Derrington warf sich mit einem Hechtsprung über sie. Keuchend versuchte er, sie festzuhalten. Rita machte es ihm nicht leicht. Sie biß und kratzte wie eine Furie.
Derrington riß plötzlich den Kopf hoch. Jemand war an der Tür! Auch Rita bemerkte es.
»Mörder!« schrie sie gellend. »Hilfe, Mörder!«
***
Die Türfüllung zersplitterte krachend.
Ich sauste kopfüber in den Raum. Als ich wieder auf den Beinen stand, sah ich gerade noch, wie sich ein Mann durch das Fenster schwang. Das Mädchen richtete sich mühsam auf. Sie zitterte am ganzen Leibe. Sie wollte etwas sagen, aber die Stimme gehorchte ihr nicht. Mir genügte die Feststellung, daß das Girl unverletzt geblieben war. Der Mann war in diesem Augenblick wichtiger.
Das Mansardenfenster, durch das er geflohen war, lag etwa anderthalb Yard über dem flachen, mit Teerpappe beklebten Dach, das von einem rostigen, schadhaften Schutzgitter eingezäunt wurde. Außer den Schornsteinen gab es auf der Plattform noch ein paar Wäschestangen, eine ausrangierte Gartenbank und einen kleinen Maueraufbau, der wie ein Fahrstuhlhäuschen aussah. Es war der Zugang zum Treppenhaus. Die Tür stand halboffen.
Rita Fellonis Mansardenfenster genau gegenüber stieg eine graue Hauswand in die Höhe. Sie überragte das flache Dach um zwei Stockwerke. Die beiden Dächer waren durch eine schmale Eisenleiter miteinander verbunden. An dieser Leiter kletterte der Gangster mit affenartiger Behendigkeit empor. Ich verspürte wenig Lust, ihm auf diesem Ausflug zu folgen. Aber ich durfte den Burschen nicht entkommen lassen.
»Kommen Sie zurück!« rief das Mädchen, als ich aus dem Fenster stieg.
Ihre Stimme bebte vor Aufregung. »Er ist gefährlich…«
Nun, das war mir bekannt. Gerade deshalb wollte ich ihn haben. Ich flitzte an der Leiter hoch und sah, wie der Kerl über mir verschwand.
»Vorsicht!« schrie das Mädchen.
Ich kletterte weiter. Als ich die Hand ausstreckte, um die letzte Sprosse der Leiter zu ergreifen, tauchte über mir der Kopf des Gangsters auf. Ich sah zum erstenmal sein Gesicht.
Ich wußte plötzlich, daß es mir schon
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