Jerry Cotton - 0515 - Ein Moerder macht Musik
als hätte ich den Auslöser einer Pistole berührt.
Genau in diesem Moment fiel nämlich in der Wohnung ein Schuß.
Dann war Stille.
Ich klingelte abermals. Im Wohnungsinneren rührte sich nichts. Ich rüttelte an der Tür. In diesem Moment ging die Tür der Nachbarwohnung auf. Ein unrasierter Mittvierziger starrte mich fragend an. »He, was ist denn hier los? Hat es nicht einen Bums gegeben?«
»In Mr. Heflins Wohnung ist geschossen worden. Paßt Ihr Schlüssel zu seiner Tür?«
Der Mann verschwand und tauchte wenige Sekunden später mit seinem Schlüsselbund wieder auf. »Genau!« sagte er. »Wir helfen uns manchmal gegenseitig aus.« Er öffnete die Tür, und wir betraten die Wohnung. Die Diele war lang, SQhmal und dunkel. Der Mann machte Licht. »Wer sind Sie denn überhaupt?« fragte er mich.
»Jerry Cotton vom FBI«, sagte ich und betrat das Wohnzimmer. Das Fenster stand offen. Die Gardine bauschte sich träge im Wind. Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Auf dem Sideboard stand ein kleines pastellfarbiges Radio. Es war eingeschaltet und übertrug gerade eine schmalzige Musiksendung.
»Hallo?« rief ich. Niemand antwortete. Ich hastete zum Fenster und blickte hinaus. Unterhalb des Fensters verlief ein etwa handbreiter Sims. Auf dem schmutzigen Stein entdeckte ich frische Kratzspuren. Sie führten bis zu einem Flachdach, das zum Nebenhaus gehörte und mit Heflins Wohnung auf einer Ebene lag. Ich konnte nur einen Teil des Daches überblicken. »Jemand hat es vorgezogen, rechtzeitig auszusteigen«, sagte ich. »Wenn…« Ich kam nicht weiter, weil der Mann hinter mir plötzlich einen unartikulierten Schrei ausstieß.
Ich wirbelte herum.
Mein Begleiter stand vor der Küchentür. Er hatte sie weit zurückgedrückt und hielt sich mit einer Hand an der Klinke fest. Sein starrer Blick fixierte einen Gegenstand am Fußboden.
Ich war mit wenigen Schritten an der Tür.
Genau vor dem Kühlschrank lag ein Mann. Er war nur mit einer blaurot gestreiften Pyjamahose bekleidet. Sein Gesicht war dem Boden zugewandt. Ich erkannte ihn trotzdem sofort. Es war Donald Heflin.
Zwischen ihm und dem Kühlschrank existierte eine schmale, naß glitzernde Verbindungslinie, ein blutrotes Rinnsal. Es sah fast so aus, als wolle es sich schamhaft unter das Kühlmöbel verkriechen.
Ich trat über die Sch welle, und kniete mich neben Heflin nieder. Ich ergriff sein Handgelenk und fühlte nach seinem Puls. Meine Fingerspitzen registrierten nur das Pochen meines eigenen Herzens.
Donald Heflin war tot.
***
Ich stand auf.
Das Telefon war im Wohnzimmer. Ich wählte die Nummer der zuständigen Mordkommission. Guthrie war natürlich außerstande, alle Fälle gleichzeitig zu bearbeiten, aber da die Verbrechen mutmaßlich einer Quelle entsprangen, war es notwendig, zuerst ihn zu benachrichtigen. Guthrie war nicht im Office. Ich sprach mit seinem Vertreter und legte dann auf.
Mein unrasierter Begleiter hatte sich an den Wohnzimmertisch gesetzt. Der Mann sah aus, als könnte er einen kräftigen Whisky vertragen. Mein Kopf begann erneut zu schmerzen. Ich lechzte nach einem starken Kaffee. »Wie heißen Sie?« fragte ich ihn.
»Hunter«, antwortete er. »Gregg Hunter.«
Ich trat an das Fenster und blickte hinab auf die Straße. »Hat das Nebenhaus einen Hinterausgang?« erkundigte ich mich.
»Sicher«, sagte Hunter. »Alle Häuser in dieser Straße haben einen Ausgang zum Hof.«
»Zwischen den einzelnen Höfen sind Zäune oder niedrige Mauern«, nickte ich. »Man kann eine beliebige Zahl davon überklettern und dann durch irgendeinen Hausflur auf die Straße treten, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte Hunter. Ich drehte mich um. »Wissen Sie, wer Heflin besuchte?«
»Nein.«
»Haben Sie das Klingeln gehört? Einen Streit?«
Hunter schüttelte den Kopf. »In meiner Wohnung läuft das Radio«, erklärte er. »Nur der Schuß war lauter. Was ist denn gestohlen worden?«
Ich blickte erneut aus dem Fenster. In etwa hundert Yard Entfernung überquerte ein Mann die Straße. Er hatte es ziemlich eilig.
Der Mann war mit einem hellen Staubmantel bekleidet. Er hatte den Kragen des Mantels hochgestellt und seinen grauen Filzhut tief in die Stirn gezogen. Ich konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, aber das war auch gar nicht nötig.
Mir fiel es in diesem Moment wie Schuppen von den Augen.
Ich wußte plötzlich sehr viel, aber ich wußte noch immer nicht, wo sich Phil befand.
***
Raymond Jenkins lag auf dem Bett, ohne sich zu
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