Jerry Cotton - 0515 - Ein Moerder macht Musik
man betrog.
Der andere Umschlag enthielt einen kleinen Zettel ohne Anrede und Unterschrift. Der Zettel enthielt zwei Namen und zwei Adressen. Den ersten Namen kannte Jenkins. Als er den zweiten Namen las, umwölkte sich seine Stirn. Er merkte, wie seine gute Laune verflog.
Phil Decker!
Jenkins hatte keine Skrupel hinsichtlich der Aufgabe, die ihm gestellt worden war, aber er wußte, was der Tod eines G-man für Folgen haben mußte.
Für einen Mann seiner Branche war Mord nicht gleich Mord. Es gab Abstufungen und Nuancen, die wohl erwogen sein wollten und die er schon aus Gründen der Selbsterhaltung respektierte. Bis jetzt hatte Jenkins strikt darauf geachtet, keinen Polizisten zu töten. Nun, offenbar war der Zeitpunkt gekommen, dieses selbstgesetzte Limit zu überschreiten.
»Good bye, G-man Decker!« sagte er höhnisch. Dann drückte er auf den Starterknopf. Die Maschine sprang sofort an. Jenkins legte den Gang ein und fuhr los.
***
Raoul Legrelle war zufrieden.
Die Verhandlungen mit der STARWAY ELECTRONIC CORPORATION waren erfolgreich verlaufen. Er fuhr zurück in sein Hotel und überlegte, ob er die verbleibenden Stunden dazu benutzen sollte, eine andere, wichtigere Aufgabe in Angriff zu nehmen.
Er betrat das Hotelzimmer gegen elf Uhr zwanzig. Legrelle schwitzte. Er war diese New Yorker Hitze nicht gewohnt. Er entschloß sich, erst einmal zu duschen und dann frische Wäsche und einen anderen Anzug anzulegen.
Als er das Bad verließ, zuckte er zusammen.
Mitten im Zimmer stand ein Mann. Der Fremde war groß, breitschultrig und vierschrötig. Er hatte kalte graue Augen und ein dünnes zynisches Lächeln.
Legrelle bedeckte seine Blöße rasch mit dem Frottiertuch. Er war ein fetter, unansehnlicher Mann, deshalb war seine erste Reaktion eher Scham als Angst, aber als der Besucher die Hand mit der Pistole aus dem Anzug zog, packte Legrelle die Furcht.
»Was haben Sie vor?« keuchte er.
»Ich werde Sie töten, Fatty!« sagte Jenkins höhnisch. »Auslöschen. Ausradieren. Ins Jenseits befördern! Sie kennen den Grund, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden!« japste Legrelle. »In wessen Auftrag kommen Sie?« Er wußte die Antwort auf diese Frage sehr genau, aber er hielt es für einen guten Gedanken, etwas zu äußern, irgend etwas, um das Gespräch in Gang zu halten. Solange sie miteinander redeten, konnte nicht geschossen werden.
»Ich habe lange auf Sie gewartet, Fatty«, sagte Jenkins und schob den Geräuschdämpfer auf den Pistolenlauf. »Viel zu lange! Jetzt kann ich mich nicht damit aufhalten, Ihnen Rede und Antwort zu stehen. Ihnen muß dieses Argument aus Blei genügen!«
Jenkins hob die Pistole und zielte. Er nahm sich Zeit damit. Legrelle stand wie gelähmt. Er konnte es einfach nicht fassen, daß alles aus und vorbei sein sollte… ausgerechnet hier, in einem der renommiertesten Hotels der Welt!
Jenkins hatte plötzlich ein merkwürdiges Empfinden, das er sich nicht zu erklären vermochte. Ihm schien es fast so, als würde er beobachtet. Er schüttelte das Gefühl ab. Bestimmt ließ er sich nur von den weit aufgerissenen schreckenstarren Augen des dicken Franco-Algeriers irritieren! Oder fürchtete er, daß die Wände und die Tür des Zimmers nicht so schalldicht waren, wie er es sich erhoffte?
»Ich zahle Ihnen jede Summe!« würgte Legrelle hervor. »Ich zahle Ihnen das Doppelte von dem, was Ihnen Ihr Auftraggeber versprochen hat!«
Jenkins zögerte erneut. Das war ein verlockendes Angebot. Aber es war eines von denen, die man nicht ernst nehmen durfte.
»Sorry, Fatty«, sagte Jenkins. »In meinem Beruf ist es wichtig, nicht den Partner zu wechseln. Das gibt nur Ärger und schadet dem Ruf!«
»Hilfe!« schrie Legrelle. »Hilfe…«
Es war eher ein Krächzen als ein lautes Rufen.
Jenkins grinste verächtlich. Er krümmte den Finger am Abzug und spürte den Druckpunkt In diesem Moment krachte es.
Jenkins zuckte zusammen. Der Schmerz in seinem Arm war lähmend.
Die Pistole entfiel seinen Fingern. In seinen Ohren war noch das Echo des Schusses und einer klirrenden berstenden Fensterscheibe.
Jenkins wandte fassungslos den Kopf zur Balkontür. Er sah, wie ein Mann durch die zerschossene Scheibe griff, den Türriegel umlegte und die Tür öffnete.
»Nehmen Sie die Hände hoch!« befahl der Mann.
***
Der Mann war ich.
Jenkins nahm den unverletzten linken Arm hoch.
Aus seinem getroffenen rechten Handgelenk tropfte das Blut.
»Lieber Himmel… Sie kamen in letzter
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