Jerry Cotton - 0515 - Ein Moerder macht Musik
rühren. Er starrte an die Zimmerdecke und lauschte auf die Geräusche, die von draußen hereindrangen.
Es machte ihm Spaß, die Aktivität der erwachenden Stadt mitzuerleben, ohne selbst gezwungen zu sein, an dieser mühevollen Hast teilzunehmen.
Das Fenster war geöffnet. Die Morgensonne wurde durch die herabgelassenen Jalousien gefiltert und produzierte ein schwarzweißes Streifenmuster auf Jenkins‘ muskulösen Körper.
Auf dem Korridor klapperte Frühstücksgeschirr. Irgendwo klingelte ein Telefon. Ein Mädchen kicherte. Hinter der dünnen Zimmerwand hörte Jenkins das Brummen eines elektrischen Rasierapparates.
Jenkins gähnte. Er streckte die Hand aus und griff nach der kleinen Mundharmonika, die neben ihm auf dem Nachtschränkchen lag. Seine Finger zuckten zurück. Nein, damit war es jetzt vorbei. Das Spiel hatte ihm Spaß gemacht, aber es wurde Zeit, daß er damit aufhörte und sich etwas Neues einfallen ließ.
Der Killer mit der Mundharmonika!
Jenkins grinste breit. Er hatte sie alle zum Narren gehalten!
Er war x-mal vorbestraft, aber nirgendwo stand etwas von einem Hang zum Mundharmonikaspiel. Ja, Ideen mußte man haben!
Noch heute würde er das Instrument verschwinden lassen. Auf Nimmerwiedersehen. Es hatte seinen Zweck erfüllt. Er würde seinen Lohn kassieren und aus der Stadt verschwinden. Für Männer seines Berufs gab es in jeder Stadt Arbeit. Man mußte nur die richtigen Leute kennen.
Das Telefon klingelte. Jenkins fuhr zusammen. Sein Wohlgefühl war wie weggeblasen. Dieses verdammte Telefon! Wer mochte ihn um diese Zeit anrufen? Es war noch nicht einmal neun Uhr morgens!
Dann entspannte er sich. Die Polizei konnte es nicht sein. Seine Gegner kamen entweder höchstpersönlich, mit der Waffe in der Hand, oder sie blieben ihm vom Leibe. Er nahm den Hörer ab und meldete sich, ohne seine liegende Position zu verändern.
»Bist du allein?« fragte eine Männerstimme am anderen Leitungsende.
»Hm«, machte Jenkins. »Aber denke daran, daß die Strippe über die Rezeption läuft.«
»Sicher. Ich brauche dich noch einmal, mein Junge.«
»Eine große Sache?«
»Zwei sogar.«
»Muß es gleich sein?«
»Ja… sofort. Du kennst doch Donald?«
»Flüchtig.«
»Du kannst einen Kranz für ihn bestellen. Er ist an einer Bleivergiftung gestorben.«
Jenkins richtete sich langsam auf. »Verstehe. Ich soll mich um den Mann kümmern, der dafür verantwortlich zeichnet.«
»Genau. Um ihn und um einen anderen.«
»Wo bekomme ich die genauen Anweisungen?«
»Du findest sie im Handschuhfach deines Wagens.«
»Und das Geld?« .
»Am gleichen Platz. Zumindest den Vorschuß. Den Rest kriegst du nach getaner Arbeit.«
»Geht in Ordnung«, sagte Jenkins. Er warf den Hörer auf die Gabel und stand auf. Nach zehn Minuten hatte er seine Morgentoilette beendet. Er zog sich an und verließ sein Zimmer. Die Pension hatte im Erdgeschoß einen Frühstücksraum. Jenkins ging hinunter und bestellte sich Corn Flakes, Grapefruitsaft, Ham and Eggs, Kaffee sowie Toast und Butter. Er hatte einen Bärenhunger.
Einige Männer, typische Handelsvertreter, saßen an ihren Tischen und verschlangen lustlos ihr Frühstück. Die meisten lasen dabei die Morgenzeitung. Jenkins sah die Schlagzeilen und unterdrückte ein verächtliches Grinsen. Wenn diese Hohlköpfe wüßten, daß sie es gar nicht nötig hatten, die Sensationen aus zweiter Hand zu beziehen!
Der gesuchte Mörder von Virginia Vermont saß direkt vor ihrer Nase!
Plötzlich fiel es ihm ein, daß er die Mundharmonika im Zimmer gelassen hatte. Er sprang auf und hastete, von erstaunten Blicken verfolgt, aus dem Raum nach oben, in sein Zimmer. Er atmete erleichtert auf, als er entdeckte, daß das Stubenmädchen noch nicht da gewesen war. An diesem Morgen mußten alle Männer, die eine Mundharmonika bei sich, führten, mit allerlei unbequemen Fragen rechnen.
Jenkins steckte die Mundharmonika ein und ging wieder nach unten. Er nahm sich Zeit mit dem Essen. Als er das Frühstückszimmer verließ, waren die anderen Gäste bereits gegangen.
Sein Wagen stand auf dem kleinen Privatparkplatz, der sich im Hofe der Pension befand und nur für Gäste reserviert war. Jenkins schloß die Tür auf. Er öffnete das Handschuhfach und entnahm ihm zwei weiße Umschläge. Zuerst warf er einen Blick in den dickeren von beiden. Er grinste zufrieden, als er die dicken Banknotenbündel sah, und schob den Umschlag in seine Brusttasche, ohne den Inhalt nachzuzählen. Er war kein Mann, den
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