Jerry Cotton - 0518 - Hochsaison fuer Killer Joe
über die Runde. Erst nach einer vollen Minute fragte Dibbin drohend: »Wie meinst du das?«
Shigg hob den Kopf, sah Edna aus zusammengekniffenen Augen an, verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Sie redet so schlau daher, als verfüge sie über besondere Informationen.«
Edna ging hoch wie eine geschüttelte Flasche Mineralwasser. »Ich lasse mich von dir nicht verdächtigen«, kreischte sie. »Chess, stopfe ihm das Maul!«
»Halte den Mund!« bellte Dibbin. Er warf Shigg einen finsteren Blick zu. »Besser, du kümmerst dich nicht um Dinge, die allein mich und Edna angehen, Irv! Los, Clark und Guy, ihr beide macht euch sofort auf die Strümpfe. — Irv, du rufst Buston Hard und Casso an und verabredest dich mit ihnen.«
Während Brusca und Pine das Büro verließen, ging Shigg zum Telefon. Bevor er den Hörer abnehmen konnte, läutete der Apparat. Er meldete sich, lauschte und rief Edna. »Für dich!«
Edna übernahm den Hörer. Shigg blieb dicht neben ihr stehen und sah sie nachdenklich und mit ausdruckslosem Gesicht an. Dibbin, der nicht aus seinem Sessel aufstand, drehte den Kopf und blickte ebenfalls zu seiner Freundin hinüber.
»In Ordnung«, sagte Edna. »Nein, ich möchte das Kleid vorher anprobieren. Ja, die Zeit paßt mir. Um sechs Uhr! Danke für den Anruf.« Sie gab Shigg den Hörer zurück, drückte aber gleichzeitig mit zwei Fingern der linken Hand die Gabel nieder, so daß die Verbindung getrennt wurde.
»Wer war das?« fragte Dibbin.
»Mein Modesalon«, antwortete Edna. »Sie sagten, ich könnte ein geändertes Kleid abholen lassen, aber ich will es vorher anprobieren. Beim letztenmal mußte ich es um schicken, weil sie den Saum nicht richtig gekürzt hatten.«
»Hör auf!« bellte Dibbin. »Dein Kleiderkrempel kümmert mich einen Dreck. Ich habe andere Sorgen.«
***
Am Freitag, wenige Minuten vor vier Uhr am Nachmittag, schickte sich Dave Bryan an, die Wohnung in der Caroll Street zu verlassen. Als er die Korridortür schon geöffnet hatte, schoß Mr. Miller aus einem dunklen türlosen Zimmer, in dem er wie in einer Höhle hauste. Er schlug seine Klauen in Bryans Jackenärmel. »Gehen Sie fort, Dave? Sie versprachen mir, meinen Whisky zu kosten.«
Bryan gab nach. »Also gut! Lassen Sie den Stoff anrollen!«
»Eine Sekunde, mein Junge! Nur eine Sekunde!« Er flatterte in seine Höhle zurück, erschien nach wenigen Sekunden wieder auf der Bildfläche und schwenkte ein Glas und eine Whiskyflasche. »Halten Sie das Glas, Dave! Sehen Sie das Etikett!«
Dem Etikett nach mußte die Flasche einen Whisky enthalten, der schon in der Eiszeit gebrannt worden war. Miller füllte das Glas mit einer Sorgfalt, als schenke er flüssiges Gold aus. Das Gold schmeckte nach gewöhnlichem Canadian Whisky. Dave lobte trotzdem: »Prächtig, Mr. Miller!«
»Ich habe nicht übertrieben, nicht wahr?« krächzte der Alte. »Wieviel Flaschen soll ich Ihnen reservieren?«
»Für den Augenblick nur eine oder zwei. Ich bin etwas knapp bei Kasse!«
Miller blinzelte mit seinen runden Vogelaugen. »Sie wissen, daß ich noch andere Dinge außer Schnaps zu verkaufen habe. Sie bekommen bei mir Kredit.« Er drängte sich näher an Dave heran. »Noch einen Schluck, mein Freund!« Widerstrebend ließ der G-man sich den zweiten Whisky geben. »Jetzt ist es genug«, sagte er und gab Miller das Glas zurück. Der Alte war schon auf dem Rückzug in seine türlose Höhle. »Stellen Sie es auf dem Tisch links neben der Tür ab, Dave!« rief er in die Dunkelheit des Flures. Bryan zuckte die Achseln und verließ die Wohnung.
Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt. Er wollte zwei deutliche Fährten legen, aber in verschiedenen Bezirken New Yorks. Mit der Subway fuhr er zur Westside von Manhattan. Bestimmte Bezirke der Westside werden ausschließlich von Puertoricanern bewohnt. Ein Weißer fällt in dieser Gegend auf jeden Fall auf, und wenn er nicht eine Polizeiuniform trägt, läuft er überdies Gefahr, auch angefallen zu werden.
Bryan ging ein erhebliches Risiko ein, als er eine der kleinen Kneipen betrat, die aussahen, als stünden sie in Mexiko-City und in denen mehr Tequila, Agavenschnaps und Rum verkauft wurde als Whisky, Bier oder Coca-Cola. Ein halbes Dutzend schmächtiger, aber sehniger Puerto-Leute mit braunen scharfgeschnittenen Gesichtern stand an der Theke und sprach in rasendem Spanisch miteinander. Nur einer trug eine auf Taille geschnittene knallgelbe Jacke mit großem Karomuster. Die anderen staken in
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