Jerry Cotton - 0545 - Im Park der toten Liebespaare
angerufen, der sofort herüberzukommen versprochen hatte, und kaum lag der Hörer wieder auf der Gabel, da hatte mir die Zentrale ein Gespräch in die Leitung gelegt, das von einem gewissen Mr. Wild aus Yonkers kam.
»Sie sprechen mit Special Agent Jerry Cotton, FBI New York District«, sagte ich unser vorgeschriebenes Sprüchlein auf. »Was kann ich für Sie tun, Wild?«
»Das ist ein bißchen verrückt, Cotton. Ich fürchte, Sie werden mich auslachen oder mich wenigstens für unfähig halten.«
»Warten wir’s ab«, schlug ich vor. »Was verrückte Dinge angeht, Mr. Wild, können Sie uns hier kaum überraschen. Also schießen Sie los.«
»Vielleicht erzähle ich Ihnen erst einmal etwas über mich, Cotton.«
»Gute Idee. Also?«
»Ich war früher Buchhalter. Dann habe ich einen Kursus absolviert, der von einem FBI-Instrukteur abgehalten wurde. In der Hauptsache alles betreffend, was Fingerabdrücke angeht. Seither arbeite ich als Angestellter im Erkennungsdienst der City Police von Yonkers.«
»Ich verstehe«, sagte ich, und mir wurde klar, daß Mr. Wild ein zuverlässiger Mann sein mußte. Wem ein Instrukteur, der von der FBI-Akademie in Quantico kommt, die erfolgreiche Absolvierung eines Kursus bescheinigt, auf den kann man sich garantiert verlassen.
»Heute früh brachte mir ein Cop im Kurierdienst ein Foto von einem Fingerabdruck in Sachen Liebespaarmorde. Absender war die II. Mordkommission in Manhattan East.«
»Lieutenant Easton«, sagte ich und dachte an den Kaugummi, von dem mir Easton erzählt hatte.
»Richtig, ja. Eigentlich wollte ich dem Lieutenant ja auch gleich Bescheid geben, aber ich weiß nicht recht… Na, und da hab’ ich mir gedacht, weil ich doch von einem FBI-Instrukteur… also deshalb habe ich zuerst beim FBI angerufen, weil…«
»Schon gut, Mr. Wild, ich werde Lieutenant Easton verständigen, aber nun müssen Sie mir schon sagen, was Sie auf dem Herzen haben!«
»Gut, Sir, ich will es also kurz machen: Ich habe den Abdruck identifiziert. Hundertprozentig!«
»Dann sind Sie der Star des Tages«, sagte ich. »Gratuliere.«
»Vielen Dank. Sie werden sich das mit dem Star des Tages noch überlegen. Wissen Sie, von wem der Abdruck stammt?«
»Ich hoffe, daß Sie es mir sagen.«
»Von einem Mann, der seit drei Jahren tot ist.«
»Oh«, sägte ich.
»Sehen Sie! Das gibt’s doch nicht, Mr. Cotton!‘Eine Leiche hinterläßt doch nach drei Jahren keine Fingerspuren mehr.«
»Im allgemeinen wohl nicht«, brummte ich. »Aber woher wissen Sie, daß die Identitätsperson tot ist?«
»Weil’s in der Kartei steht. ›Verstorben am 16. Juni 1964 bei einem Autounfall in Brooklyn‹. So steht es hier.«
»Da hilft nur eins«, sagte ich nicht gerade begeistert, »wir müssen das mit dem Autounfall nachprüfen. Aber da es ja eine Spur von Lieutenant Easton ist, soll der sich darum kümmern. Geben Sie mir die Daten des Mannes durch, und ich werde, wie gesagt, den Lieutenant entsprechend verständigen.« Ich zog einen Block heran und schrieb auf, was mir durchgesagt wurde: »Nat Riemers, geboren am 11. Mai 1935 in Hoboken, US-Bürger, Rasse weiß, Größe 198 Zentimeter, Gewicht 119 Kilogramm, vorbestraft wegen leichter Körperverletzung im Sommer 1962 in Yonkers.«
Nachdem ich die Daten noch einmal zur Prüfung vorgelesen hatte, bedankte ich mich bei Mr. Wild und versprach ihm, daß sich Lieutenant Easton sicher mit ihm in Verbindung setzen würde.
Kaum hatte ich den Hörer aufgelegt, fragte Hellen Oaks: »Was ist mit diesem Nat, von dem Sie eben am Telefon sprachen?« .
»Warum interessiert Sie das?« stellte ich die Gegenfrage.
»Es kann nicht viele Männer geben, die fast zwei Meter groß sind und weit über zweihundert Pfund wiegen und auch noch Nat heißen.«
»Leute, auf denen alle drei Merkmale gleichzeitig zutreffen, werden nicht eben millionenweise vorhanden sein«, gab ich zu.
»Und ich kenne einen, auf den das alles zutrifft«, behauptete Hellen Oaks. »Es ist ein Mann, der für Eddy Marshall arbeitet.«
»Sieh mal an«, sagte ich. »Hat der Junge irgendeine besondere Eigenschaft? Eine Angewohnheit oder so etwas?«
»Und wie! Er kaut pausenlos und in Massen Chewinggum.«
Ich nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette. Manchmal ist es wirklich verrückt in dieser Welt. Da schuftet man wochenlang, läuft sich die Absätze von den Schuhen, schlägt sich die Nächte um die Ohren und befragt Hunderte oder gar Tausende von Leuten, und man erreicht absolut nichts. Aber dann
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