Jerry Cotton - 0549 - Ich und der schleichende Tod
benötigte. Sie hatten es in verschiedenen Handlungen eingekauft und gebracht. Bei der Arbeit war ständig einer der Gangster mit einem Revolver in der Hand neben ihm geblieben. Und dennoch hatte Eagle einen Plan gefaßt, sie zu überlisten.
Als er ihnen die ersten fünf Reagenzkolben mit Gas gefüllt hatte, war er wieder an seinem Holzstuhl festgebunden worden. Aber es schien, als ob sie es schon nicht mehr so genau genommen hätten. Die Fesselung war nicht mehr so fest wie am Anfang. Außerdem konnte er den Oberkörper bewegen, wenigstens nach vorn neigen. Und genau das tat er, kaum daß die Gangster ihn verlassen hatten, um ihren ersten Coup auszuführen. Es bereitete ihm eine unsägliche Mühe, seinen Mund bis an das festgebundene linke Handgelenk zu bringen. Dort war der Knoten in der Nylonleine noch am ehesten zugänglich. Eagle zerrte mit den Zähnen. Alle zehn oder fünfzehn Sekunden mußte er sich erschöpft wieder aufrichten und Luft holen. Aber immer von neuem beugte er sich wieder vor, verrenkte sich fast das Rückgrat, um mit den Zähnen an der Fesselung zu zerren. Nach einer halben Stunde lief ihm der Schweiß in kleinen Bächen von der Stirn und am Oberkörper herab. Dabei hatte er noch nichts erreicht. Aber er gab nicht auf. Zehn Sekunden Vorbeugen, fünfzehn Sekunden ausruhen, zehn Sekunden Vorbeugen. Es mußte gelingen. Wer weiß, was die Verbrecher inzwischen mit dem von ihm hergestellten Gas anrichteten. Der Himmel mochte wissen, was sie später noch anrichten würden, wenn es ihm nicht gelang, sie zu überlisten. Seine Augen brannten von Schweiß, der vom Ende der Augenbrauen her in die Augenwinkel gesickert war.
Nach einer Weile fiel ihm auf, daß er mit den Zähnen am falschen Zipfel der Nylonschnur gezerrt hatte. Er besah sich den Knoten noch einmal genau und verfolgte den Weg jedes Schnurstücks, bis er glaubte, jenes herausgefunden zu haben, das den Knoten lösen mußte, wenn man an ihm zog. Er machte sich schwer atmend von neuem an die mühselige Arbeit. Irgendwann — sein Gefühl für Zeit war längst ausgelöscht — spürte er, wie der Knoten nachgab. Im selben Augenblick vernahm er draußen irgendwo im Keller die Schritte der zurückkehrenden Gangster. Er blieb stocksteif sitzen. Jemand reckte den Kopf zur Tür herein.
»Sie müssen sich gleich wieder an die Arbeit machen, Verehrter«, sagte die Stimme des Gangsterchefs, die Eagle mittlerweile nur zu gut kannte. »Wir brauchen noch mehr von Ihrem herrlichen Parfüm!«
Die Tür klappte wieder zu. Eagle riß den Oberkörper vor und zerrte mit letztem Kraftaufwand an der grünen Nylonschnur. Und endlich wurde seine Anstrengung belohnt. Der Knoten löste sich auf. Eagles linker Arm war frei.
Der Chemiker atmete keuchend. Dann fuhr er sich mit der Hand über das schweißnasse Gesicht. Die Fesseln der rechten Hand waren leichter zu lösen, nun, da er nicht nur die Zähne, sondern auch eine Hand zu Hilfe nehmen konnte. Er rieb sich die Hände, bückte sich und band seine Fußgelenke von den Stuhlbeinen los.
Er stand auf. Sie hatten ihn zwingen können, für ihre verbrecherischen Pläne sein Gas herzustellen. Aber sie hatten natürlich nicht wissen können, wieviel an Chemikalien er zu welcher Menge Gas benötigte. Und darauf hatte er seinen Plan aufgebaut. Er nahm den mittelgroßen Reagenzkolben, den er angeblich zur Herstellung des Gases benötigte und in dem sich bereits die Grundsubstanz befand, und ging damit zu der kleinen Kohlensäureflasche, die sie ihm mit eingekauft hatten. Er drehte das Ventil der Druckflasche auf und ließ Gas in den Reagenzkolben strömen. Augenblicklich bildete sich aus der fast wasserhellen Flüssigkeit in dem Reagenzkolben ein milchigweißes Gasgemisch. Schnell drückte er den Gummipfropfen in den Hals des gläsernen Kolbens.
Allan Eagle stellte sich neben die Tür und wartete. Sobald einer aufkreuzte, mußte Eagle die Überraschung nutzen. Er wollte den Gangster in den Raum hereinzerren, den Gasbehälter am Boden zerschellen lassen und selbst zur Tür hinausspringen. Draußen brauchte er die Tür nur eine einzige Minute lang zuzuhalten, dann mußte der Gangster vom Gas betäubt sein. Das würde ihm die Chance geben, an die Waffe des Verbrechers zu kommen. Und das, so hoffte er, würde ihm wiederum ermöglichen, das Versteck seiner Frau von einem der Verbrecher zu erfahren, indem er ihn mit der eroberten Schußwaffe bedrohte. So ungefähr hatte es sich Allan Eagle ausgemalt.
Aber es kam anders.
Er
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