Jerry Cotton - 0549 - Ich und der schleichende Tod
streifte sie über und riß mit der Linken einen milchigweiß gefüllten Reagenzkolben aus der ausgebeulten Tasche seines hellen Staubmantels. Er warf das dünnwandige Glasgefäß hinter den anderen hart auf den Boden, so daß es zerschellte. Das Bersten des Glaskolbens ließ die übrigen herumfahren. Sie starrten verblüfft in die Mündung eines Colt-Revolvers, den Haytes auf sie gerichtet hielt.
»Bist du verrückt geworden?« rief einer und hob die Rechte.
Haytes riß seinen Revolver hoch.
Der Mann grinste schwach und ließ seine Hand wieder sinken.
Sie alle spürten den süßlichen durchdringenden Geruch, sie wußten, wie er wirkte, aber sie konnten nichts tun. Die Gasmasken lagen für sie unerreichbar auf dem kleinen Tisch neben Haytes. Die Waffe in der Hand des Narbigen hätte es zu einem Selbstmordversuch gemacht, wenn jetzt einer versucht hätte, seine eigene Waffe zu ziehen. So starrten sie verblüfft auf ihren abtrünnigen Komplicen, der gespannt die Wirkung des Gases abwartete.
Sie kam so prompt wie vorher in der Bank. Die Männer begannen zu wanken, als Wogen von Schwäche und nahender Ohnmacht durch ihre Körper fluteten. Zwei setzten sich auf den Boden, die anderen kippten fast sachte zusammen. Der Boß hielt sich bis zuletzt aufrecht, aber dann sackten auch ihm plötzlich die Beine weg und er schlug schwer auf dem Steinboden auf.
Vorsichtig sichernd stieg Haytes über die Bewußtlosen hinweg. Er stieß sie der Reihe nach mit der Fußspitze an. Keiner war noch in der Lage zu reagieren. Haytes schob den Revolver in seine Manteltasche. Zweihunderttausend für mich allein, dachte er. Das ist noch immer mehr, als mein Anteil bei sechshunderttausend sein würde. Er griff nach den beiden Geldsäcken und verließ das Gewölbe. Als er den Gang entlangging, pfiff er zufrieden vor sich hin, nachdem er die Gasmaske abgezogen und achtlos beiseite geworfen hatte. In diesen Augenblicken kam er sich sehr clever vor.
***
Ungefähr in diesen Minuten zog ein Beamter im Communication Center der Stadtpolizei von New York ein kleines Standmiluofon zu sich heran und begann, den Text abzulesen, der mit der hauseigenen Rohrpost im Hauptquartier der City Police auf seinen Tisch gefallen war. »Achtung! Achtung!« sagte der Sprecher in das Mikrofon, nachdem ihm eine rote Kontrollampe gezeigt hatte, daß es sendebereit war. »Hier ist das Hauptquartier der City Police von New York. An alle! An alle! Rundspruch 67-G-264. Es wird gesucht wegen fahrlässiger Körperverletzung und anschließender Fahrerflucht, wegen des dringenden Verdachts der Beteiligung an einer gewaltsamen Entführung, wegen Mordversuches und wegen Beteiligung an einem bewaffneten Banküberfall in Tateinheit mit Beteiligung am Bandenverbrechen der sechsfach vorbestrafte Norman Haytes…« Es folgten die genauen Daten und Beschreibungsmerkmale des Gesuchten, die man aus der Kartei der Vorbestraften herausgesucht hatte. Der entscheidende 3atz des Rundspruches aber war zweifellos der betonte Hinweis auf die Narbe: »Haytes ist leicht zu erkennen an ier roten sichelförmigen, etwa acht Zentimeter langen Narbe auf seiner rechten Wange! Ich wiederhole…« Achttausend Cops der diensttuenden ragschicht hörten diesen Fahndungsauftrag über die Revierlautsprecher -der über die Sprechfunkgeräte in ihren Streifenwagen. Auf Streifengang befindliche Patrolmen erfuhren es vom zuständigen Desk-Sergeanten nach ihrer Rückkehr ins Revier. Ab etwa halb drei Uhr nachmittags gab es in ganz New York keinen G-man und keinen Cop mehr, der nicht Ausschau gehalten hätte nach einem Mann mit einer roten Sichelnarbe.
***
Ein Arzt aus dem Mayflower-Hospital rief im Distriktgebäude an. Auf Weisung des Einsatzleiters, der ständig darüber informiert ist, wer von seinen G-men mit welchen Fällen betraut ist, wurde in der Bank angerufen, wo Phil und ich waren. Phil nahm das Gespräch entgegen und kam anschließend aufgeregt zu mir.
»Wir werden heute vom Glück verfolgt«, sagte er. »Weißt du, wer mit uns dringend sprechen möchte?«
»Nein, aber ich hoffe, du wirst es mir sagen.«
»Eine Frau namens Eileen Eagle.«
»Die ist aussagefähig?« staunte ich. »Nicht nur vernehmungsfähig, sondern vor allem aussagewillig! Das Messer wurde von einer Rippe abgelenkt und hinterließ nur eine relativ ungefährliche Fleischwunde. Sie ist bei vollem Bewußtsein und verlangt dringend nach dem FBI.«
Ich war versucht, ein fröhliches Liedchen zu pfeifen. Bei Eileen Eagle konnte der
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