Jerry Cotton - 0555 - Der Moerderboss von Honolulu
hervorzuholen. Beides war verschwunden.
Ich richtete mich auf und verließ das Zimmer. Sharon kam mir entgegen, als ich die Halle erreichte. »Hallo, alter Freund«, sagte er in aufgeräumter Stimmung. »Sie sehen sauer aus. Was hatten Sie denn erwartet? Daß Sie es mit einem Narren zu tun haben? Nein, Cotton! Sie müssen endlich begreifen, daß Ihr Gegner diesmal nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden darf. Ich bin ein Supergegner. Ich bin kein kleiner Gangster, den Sie mit Hilfe Ihrer mächtigen Organisation an die Wand drücken können. Sie müssen sich, ganz auf sich gestellt, schon etwas einfallen lassen, um die Situation zu meistern. Denken Sie an die anderen! Für Sie geht es jetzt um Tod oder Leben.«
»Wo ist mein Gewehr?«
Sharon zuckte mit den Schultern und lächelte maliziös. »Sie hatten Ihre Chance, Cotton. Warum haben Sie die Flinte aus der Hand gegeben? Jetzt müssen Sie sehen, wie Sie ohne Gewehr und Proviant fertig werden.« Er blickte auf seine Uhr. »Ihnen bleiben noch genau dreiundachtzig Minuten. Das ist nicht viel, Cotton. Beeilen Sie sich! Ich würde es bedauern, wenn die Jagd schon heute zu Ende ginge…«
»Wohnen Sie eigentlich allein auf der Insel?« fragte ich ihn.
»An der Südküste gibt es zwei Dutzend Wochenend- und Ferienhäuser«, antwortete Sharon, »aber die sind im Augenblick nicht belegt. Es ist eine Sturmwarnung durchgekommen. Wer heute noch hier war, hat sich schnellstens abgesetzt. Nihoa ist dafür bekannt, daß es von den orkanartigen Stürmen nicht gerade sanft behandelt wird.«
»Wo liegt Ihre Jacht?«
»Es wäre falsch, wenn Sie sie zu erreichen versuchten. An das Boot kommen Sie nicht heran.«
Ich ließ ihn stehen und ging aus dem Haus. Wenige Minuten später hatte ich die Straße erreicht. Ich schlug die Richtung zum Hafen ein. Die Jacht, mit der ich gekommen war, bot mir eine reelle Fluchtchance. Es genügte, wenn es mir gelang, aus einem Laken oder einer Decke ein Notsegel anzufertigen.
Auf halbem Wege zum Hafen kam mir der Jeep mit Vivian Benson und den beiden Männern entgegen. Der Wagen stoppte. Vivian beugte sich heraus und hob verblüfft ihre vollkommen geschwungenen Augenbrauen, als sie mich sah. »Nanu, Cotton«, meinte sie. »Was ist denn aus Ihrem Gewehr geworden?«
»Ihrem fairen Freund hat es gefallen, mir die Waffe wieder abzunehmen«, spottete ich.
»Dann haben Sie einen Fehler gemacht«, meinte Vivian. »Es wird, fürchte ich, nicht Ihr letzter sein.«
»Schon möglich«, gab ich zu und musterte die beiden Männer auf dem Rücksitz. Einer von ihnen hatte ein Gewehr zwischen seinen Knien stehen. Ich sah die Burschen zum erstenmal aus der Nähe. Es waren dunkelhaarige, verschlossen wirkende Typen mit schmalen glattrasierten Gesichtern. Sie waren zwischen dreißig und fünfunddreißig Jahre alt. Ich fragte mich, ob ich Nelson Algrens Mörder vor mir hatte, verzichtete aber darauf, mich danach zu erkundigen.
»Falls Sie auf dem Wege zu Ihrer Jacht sein sollten«, meinte Vivian Benson, »so bedaure ich, Ihnen mitteilen zu müssen, daß sie nicht mehr am Pier liegt.«
»O doch, das tut sie«, mischte sich der Gewehrhalter spöttisch ein. »Nur ruht sie jetzt sieben oder acht Yard unterhalb des Wasserspiegels.«
»Wir mußten das Boot in Ronalds Auftrag anbohren und versenken«, erklärte Vivian Benson entschuldigend.
Ich wollte etwas erwidern, aber Vivian gab in diesem Moment so plötzlich Gas, daß ich zur Seite springen mußte, um nicht von dem Jeep umgerissen zu werden. Ich blickte dem Wagen hinterher und setzte mich dann auf einen Stein am Wegesrand.
Genau betrachtet, hatte ich meine Zeit bis jetzt verplempert. Wenn der Superjäger Sharon sich in etwa einer Stunde auf den Weg machte, um mich zu stellen, war ich auf diese tödliche Gefahr denkbar schlecht vorbereitet. Ich stand auf. Irgend etwas mußte gesehenen, und zwar rasch. Ich verspürte keine Lust, zu einem Glied in der Kette von Sharons Mordopfern zu werden. Es wurde höchste Zeit, daß man ihm das Handwerk legte. Es fragte sich bloß, wie das geschehen sollte.
Er hatte alle Trümpfe in der Hand. Er kannte die Insel wie seine Westentasche, er war ein brillanter Schütze und Jäger, er kämpfte wie ein um zwanzig Jahre jüngerer Mann, und er wußte aus vielen dramatischen Auseinandersetzungen, wie ein gehetzter Mensch zu reagieren pflegt. Hinzu kamen die vielen Hilfsmittel, deren er sich bedienen konnte. Die Hunde zum Beispiel. Die Waffen, die er sich nach Belieben
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