Jerry Cotton - 0560 - Den Tod auf Flaschen gezogen
ins Freie.
Phil und ich balancierten über einen schmalen Steinsims am äußersten Dachrand bis zum Hause 113 vor. Die spitzgiebeligen Walmdächer schützten uns gegen Sicht von der Straße her. Als wir die 113 erreicht hatten, betrachteten wir uns die Umgebung aus der Vogelperspektive.
Die Hinterhöfe waren klein, dunkel und schmutzig. In einem spielten Kinder, die uns glücklicherweise noch nicht erspäht hatten, in einem anderen saß ein alter weißhaariger Mann und flickte ein aufgespanntes Fischernetz. Er sah so aus, als sei er gerade mitsamt seiner Arbeit aus einem sizilianischen Hafen importiert worden.
Am unteren Seilende befand sich ein breiter Sicherheitsgürtel von der Art, wie ihn Telegrafenarbeiter benutzen. Während ich ihn mir umlegte, befestigte Phil das Seil an einem Schornstein. Dann seilte ich mich, von Phil assistiert, ab.
Ich hielt mich dabei vor den Fenstern, die zum Hausflur gehörten, denn wir konnten es uns nicht leisten, die im Hause wohnenden Rentnerehepaare zu erschrecken. Es war kein Problem, durch das offene Fenster im dritten Stock einzusteigen. Ich löste den Gürtel. Phil zog ihn sofort mit dem Seil nach oben.
Ich stieg in die zweite Etage hinab und klingelte an Allan Franklins Tür. Eine junge Frau in Witwenkleidung öffnete, .Sie erschrak, als sie mich sah, und wollte rasch die Tür wieder schließen. Ich stellte blitzschnell meinen Fuß dazwischen und sagte: »Nicht doch! Ich freue mich ehrlich, Sie wiederzusehen. Offen gestanden war ich Ihretwegen ein wenig in Sorge. Sie sind nicht allein, wie ich hoffe?«
Ich zog meinen Smith and Wesson aus der Schulterhalfter. Wenn Franklin im Hause war, hatte er mich gehört. Ich kickte die Wohnzimmertür auf, ohne mich im Türrahmen zu zeigen. Der erwartete Schuß aus dem Inneren des Raumes blieb aus.
»Allan ist gegangen… vor zehn Minuten«, sagte das Girl.
Ich peilte vorsichtig um die Ecke. Das Wohnzimmer war leer. »Machen wir es uns bequem«, schlug ich vor und winkte Cynthia mit der Revolvermündung heran. Sie ging vor mir ins Zimmer. Ich folgte ihr. Als wir uns setzten, griff das Girl nach der Flasche. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Wand, so daß ich beide Türen im Blickfeld hatte.
»Wo führt diese Tür hin?« wollte ich wissen.
Cynthia zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht. Ich kenne mich hier nicht aus. Aber Sie können ganz beruhigt sein. Allan ist weggefahren.«
»Allein?«
Cynthia füllte das Glas. »Allein«, bestätigte sie bitter. »Übrigens bin ich froh, daß Sie gekommen sind.«
Ich wies grinsend auf den Whisky. »Wollen Sie mir den anbieten? Sie werden verstehen, daß ich nach den Erfahrungen mit Ihnen ein wenig skeptisch geworden bin. Wenn ich etwas hasse, dann sind es Betäubungsmittel. Das Zeug war von frappierender Wirkung.«
»Ich wollte nur die Bilder haben«, meinte das Girl ausweichend.
»Wenn ich mich recht erinnere, legten Sie Wert darauf, meine Lippen verdorren zu lassen«, spottete ich. »Das waren Ihre Worte. Statt dessen ist Ihr hübscher Mund in Mitleidenschaft gezogen worden. Das kann nicht einmal der dichte Schleier verbergen.«
Cynthia riß den Hut mit dem Schleier vom Kopf. »Sind Sie nun zufrieden?« stieß sie hervor.
Beim Anblick ihres verquollenen Gesichtes hatte ich Mühe, meine Betroffenheit zu verbergen. »Wie könnte ich? Ich möchte die Gangster kennenlernen, denen Sie das verdanken.«
»Geben Sie doch nicht so an«, z,ischte sie. »Ich wette, Sie sind heilfroh, daß ich diese Lektion bezogen habe. Im übrigen muß ich Sie enttäuschen. Die Herren waren nicht so höflich, sich mir vorzustellen. Ich weiß nicht, wer sie sind und für wen sie arbeiten.«
»Ich bekämpfe Menschen, die brutale Foltermethoden anwenden. Sie sollten mir behilflich sein, diesen Gangstern das Handwerk zu legen. Vergessen wir einmal die Vergangenheit, Miß Swift. Denken wir an die Zukunft. Ihre ist ja auch betroffen. Wo steckt Allan Franklin? Wo befindet sich das geraubte Geld? Auf wessen Wunsch hat Franklin das Haus verlassen, und wohin ist er gefahren?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie haben schon besser gelogen, Miß Swift.« Ich erhob mich und trat an das Fenster, um hinauszublicken. Unser Chevy mit Larry Hopkins stand nicht mehr vor dem Haus 105. »Unser Mann folgt Franklin«, sagte ich und wandte mich wieder dem Girl zu. »Ich kann also gut auf Ihre Aussage verzichten… es wäre allerdings nur in Ihrem Sinne, wenn Sie sich zu einem vollen Geständnis entschließen könnten. Vielleicht
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