Jerry Cotton - 0563 - Der letzte Mann in Jennys Leben
fuhren alle langsam. Für den Polizisten mit der Lichtkelle war es verhältnismäßig leicht, sie auf eine Spur zu dirigieren. Zu seiner Unterstützung rotierten sämtliche Rotlichter auf unseren Fahrzeugen.
Den Anprall hatte die Windschutzscheibe überstanden. Zuvor oder später war der Schuß gefallen. Wahrscheinlich zuvor. Das kleine, kaum gezackte Loch saß in Kopfhöhe über dem Lenkrad. Weiße Spinnenbeine liefen ein Stück durch das Sicherheitsglas. Die linke Tür war geschlossen. Die Innenbeleuchtung brannte. In ihrem Schein sah ich die beiden häßlichen Flecke auf dem hellen Plastikbezug der Rückenlehne.
Ich öffnete die Tür, beugte mich in den Wagen, betrachtete die Flecke aus der Nähe. Es war Blut.
Ich trat zur Seite, überließ den Spurenexperten das Feld und versuchte der Panik, die wie eine eisige Woge in mir hochschäumte, Herr zu werden.
Hyram kam zu mir. »Ich habe es mir schlimmer vorgestellt, Jerry. Daß Phil nicht im Wagen ist, halte ich für ein gutes Zeichen.«
»Du meinst, er ist nur verletzt und ausgestiegen?«
»Ja.«
»Und wo steckt er?«
»Vielleicht ist er erheblich verletzt und irgendwo zusammengebrochen. Jemand wird ihn finden, oder er kommt wieder zu sich.«
»Vielleicht.«
Hyram redete weiter. Ich merkte, daß er mich ablenken wollte. »Der Schütze muß sich in einem Wagen vor Phil befunden haben. Möglicherweise hat Phil jemanden verfolgt. Ich nehme an, es war so: Der Schuß fiel. Phil wurde verletzt, verlor die Gewalt über den Wagen und streifte den Pfeiler. Dabei blieb die Karre hängen.«
Ich nickte. »Ich sehe es genauso. Aber wieviel hat Phil abbekommen? Was geschah dann? Wohin ist er gegangen?« Ich holte einen Kaugummi aus der Tasche, schälte ihn aus dem Silberpapier und schob ihn mir zwischen die Zähne. An eine Zigarette war bei diesem Regen nicht zu denken.
Jim Coster, einer unserer besten Spurenexperten, rief: »Jerry, kommen Sie doch mal bitte.«
Mit ihm beugte ich mich in den Wagen. Coster deutete auf das Loch in der Scheibe. »Dort ist die Kugel eingedrungen. Ich vermute, sie wurde aus einem Wagen schräg rechts vor Phil abgefeuert. Vielleicht wollte er zum Überholen ansetzen. Getroffen hat ihn die Kugel. Das dürfte feststehen. Es sieht nämlich nicht so aus, als hätte er sich beim Anprall verletzt. Folglich muß das Blut auf der Rückenlehne von der Schußverletzung herrühren. Aber, und das, Jerry, läßt einige Hoffnung zu, die Kugel ist nicht in Phil steckengeblieben. Bei einem tödlichen Kopf-, Hals- oder Brusttreffer wäre das vermutlich passiert. Wir können also hoffen, daß es nur ein Streifschuß war. Natürlich reicht das, um das Lenkrad zu verreißen und einen Unfall zu bauen.«
»Woher, Jim, wollen Sie denn wissen, daß er die Kugel nicht im Körper hat? Haben Sie das Geschoß gefunden?«
»Leider nicht. Aber sehen Sie mal hier, Jerry!«
Er deutete auf den Fensterrahmen schräg hinter dem Fahrersitz. In dem oberen Winkel an der Dachkante war eine fingerbreite Rille im Chrom.
»Schräg von vorn kam die Kugel«, sagte Coster. »Sie durchschlug die Scheibe, verletzte Phil und sauste durch den Spalt des nur zu zwei Drittel geschlossenen Fensters ins Freie. Dabei schrammte sie über die verchromte Scheibeneinfassung.«
Ich nickte. Ich stieg in den Wagen, setzte mich hinter das Lenkrad und zog eine gedachte Linie von der Einschußöffnung zur Rille.
»Wenn man einkalkuliert, daß Phil kleiner ist als ich und außerdem immer etwas geduckt am Steuer sitzt — dann könnte ihn die Kugel am Kopf verletzt haben.« Ich beugte mich vor. »Bei dem Nebel ist man bemüht, möglichst nahe mit dem Gesicht an die Scheibe zu kommen. Falls Phil so saß, müßte ihn die Kugel hinter dem Ohr gestreift haben.«
»Genauso, Jerry, würde ich es rekonstruieren.«
Ich stieg wieder aus. »Und dann? Was war dann?« Ich wandte mich an den uniformierten Polizisten, den Fahrer des Streifenwagens. »Hat man Sie hierher gerufen?«
»Nein, Sir. Ich kam zufällig vorbei. Wahrscheinlich nur wenige Minuten nach dem Unfall. Die übrigen Verkehrsteilnehmer sind nach links ausgewichen und vorbeigefahren. Verständigt hat uns niemand.«
»Sie haben den Fahrer nicht gesehen?«
»Nichts, Sir.«
Ich wandte mich an Hyram. »Phil kann, wie du sagst, irgendwo zusammengesackt sein. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Je länger Phil verschwunden bleibt, um so wahrscheinlicher wird sie.«
»Woran denkst du?«
»Nehmen wir an: Phil verfolgt jemand. Der Verfolgte
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