Jerry Cotton - 0563 - Der letzte Mann in Jennys Leben
weiten Blick zum Atlantik. Nachts hat dort niemand was verloren. Nur der Blonde lenkte seinen Dodge an die Barriere.
Ich blieb eine halbe Meile zurück, stoppte und schaltete die Lichter aus. Was der Blonde anstellte, konnte ich nicht sehen. Aber sein Vorhaben war leicht zu erraten. Er wollte das Bündel loswerden. Ich hatte keine Ahnung, was er dem Meer übergab. Aber es beunruhigte mich nicht. Daß das Bündel keinen menschlichen Körper enthielt, hatte ich gesehen. Es war mir wie ein mit Lumpen, Kleidern oder Papier vollgestopfter Bettbezug erschienen. Trotzdem hätte ich gern gewußt, warum ihn der Blonde ausgerechnet des Nachts im Long Island Sound verrenkte.
Der Dodge rollte weiter. Ich ließ eine Kurve zwischen uns. Als ich sie durchfuhr, war der Dodge verschwunden.
Das mußte ja kommen, sagte ich mir, unter solchen Umständen ist eine Verfolgung nicht möglich. Trotzdem suchte ich. Aber es war aussichtslos. Mindestens zehn Ausfahrten zweigten in dieser Gegend von der Küstenstraße ab und führten nach Bronx hinein. Als ich merkte, daß es sinnlos war, fuhr ich denselben Weg, den ich gekommen war, zum St. Raymond’s Cemetery zurück.
Wahrscheinlich war der Blonde längst zu Hause: Aber ich täuschte mich. Das Haus in der Gifford Ave zeigte keinen Lichtschimmer. Die Auffahrt war leer.
Mit zwanzig Meilen Geschwindigkeit schnurrte mein Jaguar die Straße hinab. Ich überlegte. Es war jetzt zwei Minuten nach Mitternacht. Wohin war der Blonde gefahren? Sollte ich Richter Graham aus dem Bett holen und ihn dazu bewegen, mir einen Hausdurchsuchungsbefehl auszustellen? Zu gern hätte ich mir die Bude des Blonden angesehen.
Ich hatte Abblendlicht eingeschaltet. Plötzlich war ich versucht, hart auf die Bremse zu treten. Rechtzeitig noch unterdrückte ich den Impuls. Mein Wagen rollte weiter, und während ich an dem Dodge vorbeiglitt, drehte ich den Kopf nach rechts. Die Karre war leer. Sie parkte ohne Licht auf dem Grünstreifen zwischen Fahrbahn und Friedhofsmauer. Nur wenige Schirtt entfernt fielen Schneeflocken auf eins der schmiedeeisernen Tore.
Ich fuhr in die nächste Querstraße und hielt an einer Hecke. Als ich zurückging, sah ich nach allen Seiten. Aber ich konnte niemanden entdecken, auch den Blonden nicht.
Ich umrundete den Dodge. Das Karosserieblech knisterte noch. Ich legte eine Hand auf die Motorhaube. Sie war abgekühlt. Das hieß: Der Wagen stand schon eine ganze Weile hier. Ich überlegte. Vor etwa einer Dreiviertelstunde hatte ich den Dodge aus den Augen verloren. Wahrscheinlich war der Blonde auf kürzestem Wege hierhergefahren. Aber wo steckte der Kerl?
Ich drückte auf den Knopf des Kofferraums. Der Deckel sprang auf. Ich hob ihn an. Der Innenraum gähnte mich an wie der schwarze Schlund eines Tieres. Er war leer. Kies knirschte unter meinen Schuhen, als ich zu dem Friedhofstor ging. Ich probierte die Pforte. Sie ließ sich öffnen. Mich wunderte das, denn Friedhöfe wie der St. Raymond’s sind nachts meistens abgeschlossen.
Die Pforte klapperte leise, als ich sie hinter mir zudrückte. Ganz stark spürte ich jetzt den Geruch der Lebensbäume, der feuchten Erde, der vermoderten Blumen und Blätter. Kreuze und Grabsteine, Gedenktafeln und ein schwarzer Obelisk, der wie ein mahnend erhobener Finger in die Dunkelheit ragte — sie alle waren naß und kalt, und welkes Laub klebte an ihnen. Ich lauschte. In der Nähe rieselte Wasser. Jenseits der Mauer fuhr krachend der Rolladen vor dem Fenster einer Villa herab.
Ich sah nicht viel. Zwar hatte sich die Wolkendecke etwas gelockert, und ein milchiger Fleck zeigte, wo der Mond stand, trotzdem war es sehr dunkel.
Langsam ging ich einen breiten Kiesweg entlang. Ich folgte meinem Instinkt, der mit der Vernunft stritt. Denn die Vernunft sagte: Es ist höchst unwahrscheinlich, daß der Blonde den Rest der Nacht an diesem ungemütlichen Ort verbringt. Aber der Instinkt lenkte meine Schritte.
Dann sah ich die Friedhofskapelle. Sie war klein. Lebensbäume umstanden das Gebäude. Den spitzen Turm hatte ich vorhin beim Vorbeifahren bemerkt.
Ich spähte hinüber. Im ersten Moment glaubte ich an eine Täuschung. Dann sah ich deutlich das Licht. Es schien hinter einem der Fenster zu geistern, wurde bald heller, bald schwächer.
Ich rannte zur Kapelle. Dabei mied ich den Kiesweg. Das Knirschen meiner Schritte hätte mich verraten. Dagegen lief ich auf dem Grasstreifen am Rande weich und lautlos. Ich erreichte das Fenster. Es war schmal und hoch,
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