Jerry Cotton - 0563 - Der letzte Mann in Jennys Leben
River.
Auch Bronx hat eine Third Ave. Aber wir folgten ihr nur ein Stück. Dann bog der Dodge, jetzt mit erheblichem Vorsprung, in die Westchester Avenue ein.
Ich ließ die Entfernung zwischen uns wachsen. Es wurde immer einsamer. Ich schaltete auf Standlicht, um das Bild meiner Scheinwerfer zu verändern. Wieder bog der Blonde ab. Ich mußte aufrücken, denn jetzt führte sein Weg durch Nebenstraßen. Meine Aufgabe wurde fast unlösbar. Ich war nicht mehr sicher, ob er mich nicht doch bemerkt hatte. Ich stellte mich darauf ein, aber er fuhr mit gleichbleibendem Tempo weiter.
Links wurde die Straße von einer Mauer begleitet. Sie zog sich lang hin. Lebensbäume auf der anderen Seite überragten sie. Ich kam an schmiedeeisernen Toren vorbei. Das Türmchen einer Kapelle schob sich spitz in die Nacht. Als ich das Fenster aufkurbelte, roch ich Erde und fauliges Laub. Es war ein Friedhof, den die Mauer umschloß. Auf der anderen Straßenseite standen Landhäuser und Villen, umgeben von Gärten. Nur wenige Lichter brannten.
Vor mir glühten die Rückleuchten auf. Der Dodge verlangsamte sein Tempo, kurvte nach rechts in eine Einfahrt und hielt. Ohne zu zögern, fuhr ich an dem Grundstück vorbei. Ich sah den Blonden. Er hatte die Scheinwerfer gelöscht und stieg aus. Dann verschwand ich hinter einer Kurve.
Als ich sicher war, daß ich nicht mehr gesehen werden konnte, lenkte ich den Jaguar auf den Grünstreifen. Ich stoppte, schaltete die linke Parkleuchte ein und die Scheinwerfer aus. Im Wagen war es gemütlich. Draußen stand mir der Atem als weiße Wolke vor dem Gesicht. Ich schloß den Flitzer ab. Trotz des nahen Long Island Sound war es hier nicht so neblig wie in der City. Die Schneeflocken vermehrten sich, sanken weich und lautlos herab. Überall war es still. Still und dunkel. Ich kam mir vor, als sei ich allein auf der Welt.
Über einen Radweg lief ich zurück. Der Boden war glitschig. Auf dem Rasen und auf der Krone der Friedhofsmauer bildeten die Flocken einen dünnen weißen Film. Aber auf dem Asphalt der Straße wurden sie aufgeleckt von Schmutz und Nässe. Ich wußte jetzt, wo ich mich befand und wie der Friedhof heißt. Es war die Gifford Ave, die am St. Raymond’s Cemetery entlangführt.
In der Nähe des Grundstückes ging ich langsamer. Als ich das Haus sah, blieb ich hinter einem Baum stehen. Der Dodge stand im Freien. Offenbar besaß das Haus keine Garage. Es hatte ein Erdgeschoß und eine Etage, zwei spitze Giebel und mit Schieferplatten gedeckte Außenwände. Es war ein altes Haus mit höchstens fünf Räumen. Im Garten standen Büsche und zwei schmächtige Blautannen.
Hinter einem Fenster im Erdgeschoß brannte Licht. Aber ich konnte nicht hineinsehen. Die Vorhänge waren geschlossen. Sie ließen keinen Spalt frei.
Ich zögerte. Was sollte ich unternehmen? Vielleicht war es besser, sich zunächst mit der Adresse zu begnügen. Während ich überlegte, wurde das Licht ausgeknipst. Wenige Augenblicke später hörte ich, wie eine Tür knarrte.
Er kam. In der Dunkelheit erkannte ich die Umrisse seiner Gestalt. Er schleppte etwas. Ein großes, aber offenbar leichtes Bündel. Er öffnete den Kofferraum, warf das Bündel hinein, klappte den Deckel zu, stieg in den Wagen und schaltete Motor und Scheinwerfer ein. Verdammt. Mein Jaguar stand dreihundert Schritt entfernt. Ich warf mich herum und sprintete zurück. Hinter mir hörte ich, wie der Dodge aus der Einfahrt rollte.
Scheinwerferfinger strichen durch die Nachbargärten. Der Wagen hatte denselben Weg. Was ich in den nächsten Augenblicken leistete, trieb mir den Schweiß aus allen Poren. Ich hetzte zum Wagen, riß im Laufen die Schlüssel aus der Tasche, schloß auf, sprang hinein, startete, preschte los und stieß in die zum Glück nicht weit entfernte Einfahrt eines dunklen Grundstückes. Sofort löschte ich die Scheinwerfer. Der Motor erstarb.
Keuchend duckte ich mich. Geschafft! Erst jetzt kam der Dodge. Erst jetzt erreichten seine Scheinwerferstrahlen die Stelle, an der ich eben noch geparkt hatte. Der Wagen glitt vorbei.
Ich wartete, ließ ihm Vorsprung. Dann fuhr ich hinterher. Es ging in die Nacht hinein. Zum Long Island Sound. Eine Viertelstunde später hatte der Dodge den Shore Drive erreicht. Jenseits der hüfthohen Eisenbarriere fallen die Klippen steil ab. Dreißig Yard tiefer schäumt und gischtet der Long Island Sound.
Es gibt dort Parkplätze, unmittelbar an den Klippen. Bei Tage sind sie bevölkert, und man genießt den
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