Jerry Cotton - 0579 - Warum musste Springfield sterben
zusätzliche Sicherheitsreserve berücksichtigt hatten.
»Kremple ihm die Ärmel hoch — oder schneide einfach einen ab«, sagte Prime.
Leonie trat an die Pritsche heran. Ich blickte ihr ins Gesicht. Ihre Züge waren makellos. Das Girl benutzte ein dezentes, unaufdringliches Parfüm.
Leonie vermied es, meinen Blick zu erwidern. Sie hielt eine Schere in der Hand. Damit schnitt sie mir geschickt den Ärmel auf. Ihre Bewegungen waren ruhig und sicher. Sie hantierte wie eine Schwester, die einem Kranken hilft — aber ich wußte, worum es ging.
Nur einmal ritzte sie mich ein wenig mit der Schere. »Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht weh getan«, sagte sie.
Ich schwieg. Die Bemerkung war der Gipfelpunkt des Hohns.
»Na, los!« meinte der Brillenträger, »’ran an den Feind!«
Leonie trat drei Schritte zurück.
Prime stellte sich neben mich. »Entspannen Sie sich«, empfahl er. »Dann merken Sie den Einstich gar nicht.«
Seine Worte machten mir klar, daß ich das genaue Gegenteil von dem tun mußte, was er mir riet. Vielleicht geriet dann nur ein Bruchteil der teuflischen Substanz in meine Blutbahn. Prime grinste, als er sah, wie ich die Muskeln spannte.
Dann stieß er zu.
Ich zuckte zusammen, als sich die Kanüle in die Beuge meines Ellenbogens bohrte. Ich versuchte mich aufzubäumen, aber ich war der Aktion praktisch hilflos ausgeliefert. Ich schluckte und schloß die Augen, als ich spürte, wie die Flüssigkeit in meinen Arm eindrang.
***
Die Gummizelle sah nicht so aus, als ob es eine wäre. Nur die Tatsache, daß es keine Fenster gab, machte deutlich, wo ich mich befand. Die Wände waren freundlich tapeziert. Die Innenseite der Tür war mit einer dicken Polsterschicht bedeckt. Die Einrichtung war einfach: ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl. Der Tisch und der Stuhl waren am Boden festgeschraubt. Es gab keine Möglichkeit, sie als Waffen gegen andere oder sich selbst zu benutzen. Das Licht wurde von einer Deckenlampe gespendet, die von einem Gitter geschützt wurde.
Ich lag auf dem Bett, die Arme unter dem Nacken verschränkt. Ich fühlte mich so mies wie nie zuvor in meinem Leben. Es tröstete mich nicht, daß das FBI auch ohne meine Mitarbeit eine gute Chance hatte, die Killer von Springfield aufzuspüren. Ich wartete darauf, daß sich mein Erinnerungsvermögen trübte oder daß mein Verstand zerfaserte. Es war kein Warten, das Spaß machte. Es zerrte an meinen Nerven und verursachte mir immer neue Schweißausbrüche.
Dabei war der Raum angenehm temperiert. Man hörte das monotone Rauschen der Klimaanlage.
Ich zwang mich dazu, an Phyllis zu denken, an die junge schöne Phyllis Carter, die vom Höhepunkt ihres Erfolges plötzlich in diese Abgründe des Grauens gestürzt worden war.
Sie befand sich irgendwo hier im Hause. Hatte auch sie schon die erste Spritze bekommen?
Ich hörte, wie sich die Tür öffnete, und schwang die Füße auf den Boden, um mich aufzusetzen. Inzwischen war es zwei Uhr fünfzig geworden. Ich war nicht müde. Ich hatte mich vor dem Einschlafen gefürchtet. Seit der Injektion war ich damit beschäftigt gewesen, auf die Wirkung des Giftes zu warten.
Leonie kam herein. Sie drückte die Tür hinter sich zu.
Das Girl trug diesmal keine Schwesterntracht, sondern ein schlichtes, wenn auch elegantes Stadtkostüm im Chanel-Schnitt. Der grüne Tweedstoff bildete einen vorteilhaften Kontrast zum Rotblond ihres hochgesteckten Haares.
Ich starrte sie an. Im Grunde kam ich noch immer nicht darüber hinweg, daß Leonie es fertiggebracht hatte, sich zum Werkzeug einer Clique von Mördern degradieren zu lassen.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte sie. Ich antwortete nicht. War sie nur gekommen, um festzustellen, ob die Spritze bereits wirkte?
Sie warf mir plötzlich einen Schlüssel zu. Die Geste kam so überraschend, daß ich es verpaßte, ihn aufzufangen. Er landete vor meinen Füßen und sah wie der Zündschlüssel eines Wagens aus.
»Es ist ein roter Dodge«, sagte sie. »Der Schlüssel ist für den Kofferraum bestimmt. Öffnen Sie ihn und legen Sie sich hinein. Ich bringe Sie zurück in die Stadt.«
»Fallen rieche ich zehn Meilen gegen den Wind«, sagte ich. »Diese hier riecht nicht. Sie stinkt.«
»Haben Sie denn etwas zu verlieren?« fragte sie.
»Mein Leben, wenn es recht ist.« Leonie verzog bitter den hübschen, perfekt geschminkten Mund. »Ihr Leben! Es wäre ohne mein Dazutun keinen Pfifferling mehr wert«, sagte sie. »Was soll das heißen?«
»Ich habe dafür gesorgt, daß
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