Jerry Cotton - 0583 - Der Totenhaendler von Brooklyn
bewegen.
Als ich die Grenzen dieses Spielraumes abtastete, merkte ich, daß die Stricke an einem vorstehendem spitzen Gegenstand hakten. Es handelte sich offenbar um einen der Nägel, die zur Befestigung der äußeren Kofferleisten dienten.
Die Nagelspitze ragte kaum millimetertief in das Kofferinnere, aber sie war scharf genug, um für mich nützlich sein zu können. Ich rieb die Stricke dagegen. Sie zerscheuerten an dem scharfen Widerstand. Ich merkte, wie die einzelnen Lagen wegplatzten.
Ab und zu legte ich eine kurze Pause ein. Ich fühlte mich zerschlagen und schwitzte wie ein Marathonläufer, der in tropischer Hitze gerade den vierzigsten Kilometer angeht.
Ich machte weiter, keuchend und mit schmerzenden Muskeln und Gelenken. Es dauerte eine Ewigkeit, ehe die Stricke endgültig zerplatzten.
Ich hatte jetzt meine Hände frei. Frei? Ich fragte mich plötzlich, was ich mit dieser begrenzten Freiheit anfangen sollte. Ich saß noch immer in der Falle und hatte keine Möglichkeit, mich daraus zu befreien.
Es war unendlich schwer, die Arme nach vorn zu ziehen, erst den rechten und dann den linken. Als ich es geschafft hatte, war mein Bewegungsspielraum erheblich größer geworden. Trotzdem fiel es mir nicht leicht, die Stricke von den Füßen zu lösen. Anschließend massierte ich die schmerzenden Gelenke, um die Blutzirkulation anzukurbeln. Angesichts meiner Lage erschien aber auch das ziemlich sinnlos.
Die Geräusche, die von außen hereindrangen, die häufigen Ampelstopps und die mäßig schnelle Fahrt bis zur nächsten Kreuzung machten mir klar, daß wir mitten durch Brooklyn fuhren. Die Gangster wollten mich auf eine Jacht bringen. Zweifellos war es ihre Absicht, mit dem Schiff den Hafen zu verlassen und mich bei Nacht und Nebel irgendwo über Bord zu werden.
Ich spannte die Schultern, um zu testen, welchen Widerstand die Kofferwände boten.
Es schien fast so, als seien sie aus Stahl gefertigt. Sie gaben keinen Millimeter nach. Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht. Ich hatte gesehen, wie solide der Koffer gefertigt war. Die Gangster hatten noch ein übriges getan, indem sie ihn durch zusätzliche Riemen stabilisiert hatten.
Allmählich ließ der Straßenlärm nach. Ich fragte mich, wie die Gangster den Zoll zu passieren gedachten. Möglicherweise hatten sie einen Beamten bestochen, oder sie kannten ein geheimes Schlupfloch, durch das sie unbehelligt in den Hafen gelangen konnten.
Der Wagen stoppte. Draußen war alles still. Dann hörte ich das ferne Kreischen und Rasseln von Kranketten. Ein Dampfer tutete. Wir waren im Hafen.
Die Gangster stiegen aus. Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten. Sollte ich jetzt um Hilfe rufen? Ich verzichtete auch diesmal darauf.
Natürlich hatten die Gangster mir meinen Smith and Wesson abgenommen. Dafür entdeckte ich in meiner Brusttasche einen Kugelschreiber. Ich zog ihn heraus. Gerade, als ich versuchen wollte, damit die Kofferwand zu durchstoßen, kehrten die Gangster zurück. Sie öffneten den Wagenschlag und hoben den Koffer heraus.
»Ich halte es nach wie vor für einen ausgemachten Blödsinn«, erklärte das Girl.
»Quatsch«, meinte Lou kurzatmig. »Es ist niemand in der Nähe. Wir haben die richtige Zeit gewählt, die ruhige Stunde nach dem Mittagessen. Warum sollen wir bis heute abend warten? Was tagsüber passiert, sieht so unverdächtig aus. Darauf baue ich.«
Die Gangster trugen den Koffer davon. Unterwegs setzten sie ihn einigemal ab. »Vorsichtig«, sagte Ken plötzlich. »Die verdammte Planke ist ziemlich schmal. Ich bin kein Seiltänzer.«
»Was wäre schon dabei, wenn wir die Kiste ins Wasser fallen ließen!« kicherte Lou. »Dann ersäuft er eben hier. Der Jachthafen ist ein erstklassiger Begräbnisort!«
»Du hast Humor«, keuchte Ken. »Ausgerechnet am Anlegeplatz des Bosses sollen sie ihn finden?«
»Nimm doch nicht alles so ernst«, meinte Lou.
»Beeilt euch«, drängte das Girl.
Jetzt ging es schräg nach oben. Der Koffer federte. Es war zu spüren, daß ihn die Gangster über einen Steg an Bord schleppten.
Ich wurde buchstäblich einigemal auf den Kopf gestellt, als die Männer gezwungen waren, den Koffer über schmale, steile Treppen und enge Durchlässe zu transportieren. Schließlich stellten sie ihn ab. Eine Tür fiel in das Schloß. Ein Riegel kreischte metallisch. Dann war es still.
Ich hielt den Kugelschreiber noch immer in der Hand. Er war aus Metall und ziemlich stabil. Mit einiger Mühe bohrte ich ihn durch
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