Jerry Cotton - 0589 - Ein Toter stellt die Falle
Bessner schwitzte stark. Wieder fuhr er sich mit dem Ärmel über die Stirn. Sie betraten die Pension. Der Neger hockte wie heute morgen hinter dem Empfangstisch. Eine große Coke-Flasche stand vor ihm. Daneben lag eine Zeitung.
»Meinen Schlüssel!« Helen streckte die Hand aus. Bessner stand konzentriert und wachsam hinter ihr.
Sie stiegen die Treppe hoch. Helen schloß ihr Zimmer im ersten Stock aut, und sie traten ein. Den halben Tag hatte die Sonne auf dem Fenster gebrütet. Niemand vom Personal war hiergewesen, um zu lüften oder das Bett aufzuklappen. Von Service hielt man nicht viel in dieser Absteige.
Die Luft war stickig und nahm ihnen fast den Atem.
Bessner knurrte: »Sehr komfortabel.« Er zog den Schlüssel von der Tür, schob ihn innen ins Schloß und sperrte ab. Dann ging er zum Fenster und riß es auf. Unmittelbar daneben führte die Feuerleiter an der Hauswand entlang.
»Das Geld! Bißchen dalli! Ich hab’ keine Lust, hier zu ersticken.«
Helen lächelte. »Sie vergessen auch nicht, was Sie versprochen haben?«
»Quatsch nicht! Hol den Zaster.« Sein Blick glitt durch den Raum.
Helen ging zu dem Holzgestell, auf dem ihr Koffer lag. Als Bessner merkte, daß sie ihn öffnen wollte, trat er rasch neben sie.
»Keine Tricks.«
»Natürlich nicht.« Helen lächelte noch immer. »Gegen einen so starken Mann kann ich doch nichts ausrichten.«
Er beobachtete argwöhnisch ihre Hände. Wie sie die Schlösser aufschnappen ließ, wie sie den Deckel hochklappte, wie sie zwischen Wäschestücken und Handtüchern wühlte. Sie zog ihre Kosmetiktasche hervor, ein billiges Ding aus abwaschbarem Kunststoff.
Helen wußte, jetzt kam es darauf an. Sie durfte nicht hastig werden. Es mußte alles selbstverständlich und lässig aussehen, damit er sie nicht behinderte.
Sie griff in die Kosmetiktasche, nahm ihren Parfümzerstäuber, lächelte Bessner an, hob die Hand und sagte dabei: »Die 4000 Dollar sind alles, was ich…«
Blitzschnell und aus kurzer Entfernung sprühte sie Bessner einen Strahl Parfüm in die Augen. Der bullige Gangster brüllte auf und riß die Hände vors Gesicht. Er stolperte zurück. Für einen langen Moment konnte er nichts sehen.
Helen riß den schweren Tonaschenbecher vom Tisch. Der erste Hieb traf Bessners Schläfe. Sein Brüllen verstummte. Er taumelte gegen den Schrank. Aus einer Platzwunde lief ihm Blut übers Gesicht. Immer noch blind griff er um sich. Aber Helen war nicht in seiner Reichweite. Als er die Hand in den Jackenausschnitt zur Pistole schob, schmetterte Helen May ihm den Aschenbecher auf den Schädel. Den leichten Sommerhut hatte Bessner schon beim ersten Hieb verloren. Jetzt traf ihn der Schlag mit voller Wucht. Der Aschenbecher zerbrach. Bessner sank in die Knie. Seine Hand fischte die Pistole noch aus der Halfter, konnte sie aber nicht mehr halten. Der 45er polterte zu Boden.
Mit einem Tritt schleuderte Helen die Waffe zur Tür.
Bessner sackte in die Knie und hob schützend die Arme vor den Kopf, in Erwartung des nächsten Schlages. Er stöhnte leise. Auch auf der Stirn war die Haut geplatzt.
Helen wieselte zur Tür und hob die Waffe auf. Sie wog schwer in ihrer Hand.
Bessner blinzelte. Er sah noch immer nicht, was um ihn herum vorging. Als Helen ihm die Waffe gegen den Hals hieb, fiel er um wie ein Klotz.
Keuchend stand sie vor ihm. Jetzt, da es vorbei war, zitterten ihre Hände, und Übelkeit stieg aus dem Magen empor. Aber sie riß sich zusammen. Zwei Minuten höchstens betrug ihr Vorsprung. Dann würde der Kleine mißtrauisch werden und nachsehen. Bis dahin mußte sie verschwunden sein.
Ihr Koffer war noch gepackt. Sie warf Bessners Waffe hinein, klappte ihn zu und drückte die Riegel ins Schloß. Bessners Brieftasche enthielt außer 300 Dollar nichts Nützliches. Das Geld steckte sie ein. Dann kletterte sie aufs Fensterbrett und hob den Koffer auf die Feuerleiter. Bis in den Hof hinab war es nur ein kurzes Stück. Niemand sah sie. Sie tauchte in die Dunkelheit. Ein Fenster in der Rückfront des gegenüberliegenden Hauses war erleuchtet und stand offen. Ein Radio übertrug plärrend die Reportage eines Boxkampfes im Madison Square Garden.
Die Einfahrt zum Hof bot sich an. Aber sie führte auf die Houston Street hinaus, und dort wäre Helen Bessners Komplicen in die Arme gelaufen. Sie wandte sich nach links.
Eine hohe Mauer begrenzte den Hof. Davor standen Mülltonnen. Helen kletterte hinauf. Sie schob ihren Koffer über die Mauer, schwang sich dann
Weitere Kostenlose Bücher