Jerry Cotton - 0590 - Handlanger des Todes
einen Sekundenbruchteil den Werftplatz. Die dritte Handgranate zerbarst in der Nähe der Mauer und blies einen Stapel Eisenschrott in die Luft.
Dann wurde es still. Mr. High tauchte neben mir auf und legte eine Hand auf meine Schulter. »Jetzt versucht er es! Schalten Sie ein, Jerry!«
Der Handscheinwerfer war so schwer, daß ich ihn mit beiden Händen halten mußte. Mit dem Daumen drückte ich den Sehaltknopf. Der Lichtkegel traf den Hauseingang und die zertrümmerte Tür. Niemand war zu sehen. Ich ließ den Lichtstrahl über das Haus wandern. Rush zeigte sich nicht an den Fenstern.
»Auf das Dach!« befahl Mr. High.
Das Schrägdach hatte einen Neigungswinkel von rund dreißig Grad. Mr. Highs Vermutung traf zu. Der Scheinwerfer erfaßte Rush, der aus einem Fenster ungefähr in der Dachmitte gestiegen sein mußte und im Begriffe stand, den First zu erreichen. Er schien Schwierigkeiten zu haben, auf den glatten Ziegeln Halt zu finden. Die Maschinenpistole hatte er umgehängt.
Er erreichte den First und hielt sich mit beiden Händen am Kamin fest. Ich schaltete das Licht aus.
»Stellungswechsel, Sir!« sagte ich hastig. »Er wird schießen oder Handgranaten werfen.«
Ich rannte die Mauer entlang. Mr. High hielt sich neben mir. Sekunden später schon explodierte die fünfte Handgranate unmittelbar vor der Mauerstelle, an der wir gestanden hatten.
»Inzwischen hat er begriffen, daß wir nicht auf ihn schießen wollen«, knurrte ich. »Jetzt wird er alles riskieren.«
»Er will vom Hausdach das Dach der Werkstatthalle erreichen. Die Halle stößt an die Mauer. An dieser Stelle wird er durchbrechen. Schalten Sie ein, Jerry!«
Diesmal erfaßte der Scheinwerfer den Gangster beim Übergang vom Hausdach zum Werkstattdach. Beide Gebäude standen zwei oder drei Yard auseinander, aber eine Schrägleiter überbrückte den Abstand und den Höhenunterschied der Dächer. Rush brauchte beide Hände, um sich festzuhalten. Noch immer hing die Maschinenpistole über seiner Schulter, und der Henker mochte wissen, wieviel Handgranaten noch in seinen Taschen steckten.
»Er gibt nicht auf, Chef. Irgendwann müssen wir ihn doch stellen. Lassen Sie mich jetzt ’raufgehen!«
»Abgelehnt, Jerry! Sie müßten schießen, oder Sie müßten ihn schießen lassen! Beides wünsche ich nicht. Ich glaube noch immer, daß wir ihn leerlaufen lassen können, bis ihm die Luft, der Mut oder die Munition ausgeht.«
Rush erreichte den Dachfirst der Werkstatthalle. Er richtete sich auf. Der First war schmal. Rush breitete beide Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, und balancierte über den First. Das grelle Licht mußte ihn blenden.
Das Dach der Werkstatthalle besaß keinen Kamin, keinen Entlüftungsschacht oder etwas Ähnliches, an dem er sich hätte festhalten können. Erst in der Mitte ragte eine dünne Eisenstange, vermutlich der Rest einer Antennenanlage, empor. Als sie in Reichweite war, griff der Gangster mit beiden Händen nach der Stange und hielt sich daran fest. Vorsichtig drehte er sich um. Er löste eine Hand, versenkte sie in die Tasche und brachte sie wieder zum Vorschein. Ich sah, wie er die geballte Faust zum Mund führte, und ich wußte, daß er jetzt den Ring der Eierhandgranate mit den Zähnen abriß. Ich nahm den Daumen vom Schaltknopf des Handscheinwerfers und setzte zum Stellungswechsel an.
Ein gellender Schrei hallte durch die Nacht. Wir hörten einen dumpfen Aufschlag, aber fast im selben Augenblick krachte die Explosion der Handgranate, allerdings nicht irgendwo in unserer Nähe, sondern in der Mitte des Werkgeländes.
Ich riß den Scheinwerfer hoch. Das Dach war leer. Die Eisenstange war verschwunden. Eine merkwürdige dunkle Schleifspur zeichnete sich im Schmutz des Daches ab. Ich richtete den Lichtkegel auf den Boden am Fuß der Mauer. Ein dunkles Bündel lag dort, etwas, das kaum noch Ähnlichkeiten mit einem Menschen hatte. Nur die Maschinenpistole hing unverändert über dem Rücken.
***
Wir mußten eine verdammt schlechte Bilanz ziehen. Zwei Mörder waren entkommen, der dritte war tot. Die norwegischen Matrosen konnten wieder nach Hause fliegen. Der Prozeß gegen Franco Rush fand nicht statt.
In Rushs Behausung fanden wir den Farbigen, den der Gangster uns als Schuldigen hatte verkaufen wollen. Read Vock war von seinem Chef schwer niedergeschlagen worden, aber sein harter Schädel überstand die Verletzungen. Von ihm erfuhren wir, daß Rush unmittelbar vor unserem Auftauchen von irgendwem angerufen worden
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