Jerry Cotton - 0591 - Flitterwochen mit dem Satan
Fenster zu eilen, aber diesmal zwang sie sich zur Ruhe. »Der Boß«, sagte der Mann an der Tür. »Ich kenne seinen Schritt.«
Andy Cornell betrat das Zimmer nur wenige Minuten später. Er warf den Hut auf die Couch und lächelte dem Girl in die Augen. »Wie schön Sie sind!« sagte er.
Zwischen Vivians Augen stand eine dünne, steile Falte. Sie liebte Komplimente, aber in diesem Moment war sie nicht dafür empfänglich. »Sie schulden mir ein paar Erklärungen«, sagte sie scharf.
Cornell lächelte. Er streifte seine dünnen Lederhandschuhe ab und trat an das Fenster. »Wir werden uns längere Zeit nicht sehen«, meinte er. »Cotton hat den Fall übernommen. Das bedeutet erhöhte Vorsicht für uns. Ich wette, er wird schon bald damit beginnen, mich beschatten zu lassen.«
»Wer ist Cotton?« fragte das Girl.
Cornell wandte sich um und setzte sich. »Ein G-man. Einer von denen, um die man am besten einen großen Bogen macht.«
»Warum verbieten Sie es mir, Radio zu hören und fernzusehen?« wollte Vivian wissen.
»Ich dachte, es sei besser, wenn ich Ihnen die letzten Nachrichten persönlich überbringe«, sagte Cornell. Er lächelte dünn. Er duftete nach einem Rasierwasser und war bestrebt, dem Girl seine Schokoladenseite zu zeigen. »Es sind keine guten Nachrichten.«
»Weigert sich Papa zu zahlen?« fragte Vivian atemlos.
Cornell schnippte mit den Fingern. »Bring uns einen Whisky, Ben«, sagte er. Der Mann stand auf und ging in die Küche, um Eis zu holen. Cornell schlug ein Bein über das andere. Es war nicht zu erkennen, ob seine Verzögerungstaktik auf Verlegenheit beruhte oder ob er nicht so recht wußte, wie er Vivian Lollan seinen Besuch erklären sollte.
»Nein, das ist nicht unser Problem«, sagte er. »Streng genommen gibt es keine Probleme. Nicht für uns und nicht für mich. Aber es gibt einige für Sie, Vivian.«
Das Girl bekam plötzlich eine Gänsehaut. Das überraschte und erschreckte sie. Ihr Plan war gut gewesen, absolute Klasse, aber nun entwickelte sich plötzlich etwas, das in diesem Plan nicht vorgesehen worden war.
»Ich möchte mit Ray sprechen«, sagte Vivian. Ja, Ray würde ihr helfen. Er hatte die Gabe, jedes Problem zu lösen. Wenn sie nur seine Stimme hörte, war alles viel leichter.
»Das geht nicht«, meinte Cornell und befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. »Stanton ist tot.«
Vivian war verblüfft, daß ihr Herz im normalen Tempo weiterschlug. Und doch war plötzlich alles anders geworden. Atmete sie überhaupt noch? Und hatte sie Cornells Worte richtig verstanden?
»Stanton ist tot«, wiederholte Cornell. »Es ist besser so. Er war eine Gefahr für uns.«
Vivians Mund war knochentrocken. Sie wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton hervor. Cornell log. Er wollte sie erschrecken. Ray Stanton lebte. Es gab keinen Grund, ihn zu töten. Ohne ihn war doch alles sinnlos!
»Irgendwann wäre das FBI auf ihn gestoßen«, sagte Cornell. »Sie hätten ihn durch die Mangel gedreht, und er hätte ausgepackt. Er war nicht so hart, wie er tat. Ich kenne den Typ. Ein Hüne mit Western-Look, aber ohne inneren Mumm.«
»Sie machen mir etwas vor«, sagte Vivian, die ihre eigene Stimme nicht wiedererkannte. »Ich habe es doch nur wegen Ray getan. Ohne ihn…« Ihre Stimme brach. Sie blickte Cornell fast flehend an. Warum sagte er nicht, daß er sich nur einen makabren Scherz erlaubt hatte?
»Er wollte doch nur Ihr Geld«, sagte Cornöll. »Wenn Ihr Vater ihm ein paar tausend Dollar geboten hätte, wäre er prompt umgefallen.«
»Das ist nicht wahr!« schrie Vivian. Sie sprang auf und stürzte sich auf Cornell. Ihre Reaktion kam so heftig und so überraschend, daß Cornell vom Stuhl fiel. Er war sofort wieder auf den Beinen, hatte aber einige Mühe, die kratzende, beißende und schreiende Vivian auf Distanz zu halten.
Der Gangster kam aus der Küche in das Wohnzimmer gestürzt. Er hielt seinen Revolver in der Hand.
»Was ist los?« stieß er hervor. »Wollen Sie die ganze Nachbarschaft munter machen?«
Vivian verließen plötzlich die Kräfte. Sie torkelte zur Couch und ließ sich auf die Polster fallen. Sie barg den Kopf in ihren Armen und begann haltlos zu schluchzen.
Andy Cornell zog sich die Krawatte straff. Er hatte einen Kratzer unter dem linken Auge abbekommen, sah aber eher verstört als wütend aus.
»Sie wird durchdrehen«, sagte der Mann mit dem Revolver düster.
»Kümmere dich lieber um den Whisky«, antwortete Cornell scharf. Der Gangster zuckte
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